Zwei Jahre nach ihrem gefeierten Longplayer „Dies, Nox et Omnia – Sine Fine“ hat die holländische Paganfolk-Band CESAIR nun den Nachfolger „Omphalos“ veröffentlicht. Wir haben für Euch mal reingehört.
Der erste Eindruck ist, dass sich die Band im Großen und Ganzen selbst treu geblieben ist. Wieder nehmen sie den Hörer mit auf eine Reise durch die mythische Welt Europas und darüber hinaus. Das deutet schon der Albumtitel an, denn der „Omphalos“ war ein legendärer Stein, der im Orakel von Delphi verehrt wurde und in der Antike als Nabel der Welt galt, durch den die mythische Weltenachse zwischen Himmel, Erde und Unterwelt verlief.
Während die Musik zum größten Teil aus Eigenkompositionen besteht, greifen CESAIR bei den mythischen Texten überwiegend auf historische Vorlagen zurück. Dabei galoppieren sie munter durch Geographie und Jahrtausende. Mit den „Surya Mantras“ aus den hinduistischen Upanishaden finden wir uns in Indien wieder, während man mit „Chorihani“ in die mythologische Welt der englischen und deutschen Zigeuner eintaucht.
„Mardochaios“ entführt ins antike Mesopotamien. Μαρδοχαῖος ist der griechische Name des Gottes Marduk, dem Schutzpatron des antiken Babylons. Sein Aufstieg wird im „Enūma eliš“ beschrieben. Diesem Schöpfungs-Mythos hatten CESAIR schon auf ihrem letzten Album ein Lied gewidmet.
Von den Ufern des Euphrat in den hohen Norden, und das gleich zweimal: „Rúnatal“ („Odins Runenlied“) ist ein Teil des „Hohen Lieds“ (Hávamál) der nordischen Lieder-Edda, in dem beschrieben wird, wie der Göttervater durch Selbstopferung die Runen gewinnt. „Troll Kalla Mik“ hingegen stammt aus dem Skáldskaparmál genannten Teil der Prosa-Edda und berichtet, wie man unschwer erschließen kann, von einem Troll, genauer gesagt einer Trollfrau.
Auch keltische Legenden werden von der Band in ihren Liedern verarbeitet. Der Song „Ahes“ zum Beispiel erzählt von der gleichnamigen bretonischen Königstochter, die den Untergang der Stadt Ys herbeiführte. Während mittelalterliche Quellen Ahes (oft auch Dahut genannt) meist als schuldige Sünderin brandmarken, geben CESAIR der Geschichte eine eher romantische, bittersüße Note.
Wie sich hier zeigt, (re)zitieren die Niederländer diese alten Texte jedoch nicht nur, sondern kreieren durch Kürzungen oder Umstellungen oft einen individuellen Fokus und damit eine ganz eigene Interpretation, manchmal auch durch die Verbindung ganz unterschiedlicher Quellen. So verbindet „Boudicca“, das natürlich der berühmten Keltenkönigin gewidmet ist, den berühmten Satz des römischen Dichters Horaz: „Dulce et decorum est pro patria mori“ („Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“) mit dem Text „Boadicea: An Ode“ des englischen Dichters William Cowper aus dem 17. Jahrhundert.
Auch noch modernere Vorlagen fanden Eingang in den Texte-Kanon des Albums, wie etwa „La Luna“, das auf dem 1928 erschienenen Gedicht „Romance de la luna luna“ des spanischen Lyrikers Federico García Lorca basiert oder das von dem rumänischen Schriftsteller George Coșbuc 1908 veröffentlichte „Umbra“, das den Schlußpunkt des Albums bildet.
Das zugrundeliegende, mythologische Thema der Songs ist also geblieben und auch was die Musik angeht, so erkennt man die Band durchaus wieder. Vielleicht klingen CESAIR hie und da ein noch wenig folkiger und ausdifferenzierter, dafür etwas weniger wuchtig als auf dem Vorgänger. Dem Hörgenuss tut das keinerlei Abbruch, ganz im Gegenteil, denn bei der Vertonung der Mythen beweist die Band einmal mehr ein Gespür für schöne Melodien. Diese werden in der Hauptsache getragen durch die großartige Stimme von Monique van Deursen sowie Sophie Zaaijers Geigen- und Cellospiel. (Meine heimliche Heldin des Albums – die Streicherparts sind wirklich zum Sterben schön!). Musikalisch profitiert das Album zusätzlich von einem bandinternen Personalwechsel. Neben den beiden neuen Bandmitliedern Faber Horbach (SOWULO) an Klavier und Nyckelharpa und Luka Aubri (RASTABAN, Ex-OMNIA) am Slidgeridoo ist hier auch noch einmal Fieke van den Hurk an Akkordeon und Drehleier zu hören, deren Weggang für mich trotz der unbestrittenen Qualität der Neuzugänge einen nach wie vor einen herben Verlust darstellt. Aber so ist das leider, wenn sich multitalentierte Personen für einen von mehreren Wegen entscheiden. Als Produzentin macht die Dame ja schon seit langem auch keine schlechte Figur, wie sie mit vorliegender Scheibe einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis stellt. An der Produktion der Scheibe gibt es mal so gar nichts zu meckern. Und solange sie uns an den Studio-Reglern erhalten bleibt, darf man beim nächsten Album ja vielleicht zumindest auf einen kleinen Gastauftritt hoffen.
À propos Gäste: Was Verstärkung durch Musiker aus befreundeten Bands angeht, die bei vielen Szene-Produktionen ja durchaus üblich sind, hat man das Album eher spartanisch gehalten. Lediglich einer ist zu vermelden, der ist allerdings ebenso hochkarätig wie ungewohnt, denn Stephan Groth (FAUN, ZIRP) ist bei „Ahes“ nicht etwa an der Drehleier zu hören, sondern als Sänger.
Fazit: Ein absolut würdiger Nachfolger zu „Dies Nox et Omnia – Sine Fine“, der in keiner Sekunde enttäuscht, sondern im Gegenteil den Status der Band als hell leuchtender Fixstern am Paganfolk-Himmel zementiert. Ich kann das Album nur jedem wärmstens ans Herz legen!
Tracklist:
- Erda
- The Ruin
- Rúnatal
- Boudicca
- Chorihani
- La Luna
- Troll Kalla Mik
- Ahes
- Mardochaios
- Isolde
- Surya Mantras
- Umbra
Eine Antwort auf CESAIR – „Omphalos“ (CD-Review)