Wie in jedem Jahr zog es am vergangenen Wochenende tausende Folkbegeisterte nach Rudolstadt in Thüringen. Das Tanz- und Folkfest lud nun schon zum 25. Mal zu Musik und Tanz am Saalestrand und natürlich wurde das Vierteljahrhundert mit zahlreichen hochkarätigen Acts gebührend gefeiert. Sogar die Sonne würdigte das Jubiläum und verwöhnte Bands und Besucher beinahe schon zu sehr mit ihrer Anwesenheit.
Bei knackigen 37,8 Grad im Schatten musste man die Sache natürlich etwas langsamer angehen als sonst und so fiel an diesem Wochenende so mancher Programmpunkt, den man gerne gesehen hätte, einer nötigen Erfrischungspause zum Opfer. Nun ja, alles mitzunehmen, was während der vier Tage auf den mehr als 30 Bühnen und Straßenmusikpodien angeboten wurde, wäre sowieso unmöglich gewesen.
Donnerstag
Wie schon in den Vorjahren begann das TFF bereits am Donnerstagabend mit drei Konzerten im Heinepark. COETUS aus Spanien betraten um 21 Uhr als erste die Bühne und faszinierten die Zuschauer mit ihrem bunten Sammelsurium an Percussioninstrumenten. Kombiniert mit dem Gesang von Eliseo Parra, Ana Rossi und Carola Ortiz stimmte die Band ihr Publikum mit Volksliedern der iberischen Halbinsel auf den Rest des Wochenendes ein.
Weiter ging es mit dem Projekt SLY & ROBBIE MEET NILS PETTER MOLVÆR. Schlagzeuger Sly Dunbar und Bassist Robbie Shakespeare prägen mit ihrem Sound seit langem die Reggae-Szene, unter anderem über Jahre als Rhythmus-Sektion der legendären BLACK UHURU. Zur Zusammenarbeit mit dem norwegischen Electronic-Jazz-Trompeter Nils Peter Molvær kam es nach einer gemeinsamen Session im letzten Jahr. Die tranceartigen, sphärischen Klangwelten der Experimental-Fusion-Combo luden eher dazu ein, es sich auf der Wiese gemütlich zu machen, als dass sie das Tanzbein animierten. Bei den auch nach Sonnenuntergang noch hohen Temperaturen war dies jedoch auch nicht verkehrt.
Ganz anders dagegen sah es dann beim Headliner des Abends aus. Das Genre Electro-Swing ist seit einigen Jahren ja nicht mehr aus den Clubs der Welt wegzudenken. CARAVAN PALACE aus Frankreich dürfen mit Fug und Recht behaupten, die ersten gewesen zu sein, die diesen ganz besonderen Fusion-Sound erfunden haben. Auf der großen Parkbühne bewiesen die Pariser überzeugend, dass sie auch nach 10 Jahren Bandgeschichte noch nicht zum alten Eisen zählen. Wer bei diesem Swing-Feuerwerk still stehen bleiben konnte, dem war nicht mehr zu helfen!
Freitag
So richtig begann das Festival dann erst am Freitag. Ab dem frühen Nachmittag startete das Programm auf allen Bühnen und man hatte wie gewohnt die Qual der Wahl. Auf der Burg lockte die deutsche Sängerin und Songwriterin ALIN COEN. Mit mal zerbrechlicher und dann wieder selbstbewusst klingender Stimme erzählte sie vom Zwischenmenschlichen in all seinen Variationen und verband dabei Melancholie mit bemerkenswerter Leichtigkeit.
Im Anschluss trat auf der ein Stockwerk tiefer liegenden Burgterrasse MASAA auf. Bis kurz vor Beginn der Show suchten die Leute noch in der Nähe der Burgmauern Schutz vor der Sonne, wagten sich aber zu den ersten Klängen des deutsch-libanesischen Jazzquartetts bis ganz nach vorne. Die Band erhielt in diesem Jahr den Ruth-Förderpreis und wurde beim TFF auf der Bühne von der israelischen Sängerin YAEL DECKELBAUM unterstützt, die 2009 bereits einmal mit HABANOT NECHAMA zu Gast in Rudolstadt gewesen war. Ihr Gesang bot einen stimmlich und stilistisch starken Kontrast zur dunklen Stimme Rabih Lahouds. Gemeinsam setzten die beiden in Arabisch, Hebräisch und Englisch ein Zeichen der Verständigung. Ein bemerkenswerter Auftritt!
Der spanische Drehleierspieler GERMÁN DIAZ war vor einigen Jahren bereits als Begleitung des Franzosen Pascal Lefeuvre in Rudolstadt. Nun hatte er mit seinen eigenen Projekt den Weg auf den Neumarkt gefunden und zog das Publikum dort mit einer Folkmusik in seinen Bann, die zugleich stark traditionell und experimentell war. Beim gemeinsamen Musizieren bewegte sich die Band zwischen einem starren Korsett, das von Lochkarten vorgegeben war, die von einer Chromatic Rolmonica gelesen wurden, und spielerischen Improvisationen auf Drehleier, Oboe und Tuba. Die ungewöhnliche Mischung ging voll auf und wurde durch den warmen Beat der Herztonschallplatte im Hintergrund noch lebendiger.
Im Park erfreuten zunächst FERRO GEITA mit Funaná-Musik von den kapverdischen Inseln. Der Musikstil existiert noch nicht wirklich lange, er entstand, als vor 100 Jahren die Portugiesen das diatonische Akkordeon mit auf die Inseln brachten und galt lange als die Musik der Unterprivilegierten. Bedingt durch die Mittagshitze blieb der Platz vor der Bühne allerdings ziemlich leer. Die meisten lauschten den fröhlich aber auch auf Dauer einförmig dahinplätschernden Klängen der Band lieber aus dem Schatten der Bäume.
Ein erstes Highlight an diesem Tag war dann das Konzert von SONA JOBARTEH auf der Konzertbühne am anderen Ende des Parks. Die westafrikanische Künstlerin, die aus einer traditionsreichen Musikerfamilie stammt und schon mit zahlreichen namhaften Ensembles und Künstlern weltweit zusammengearbeitet hat, ist eine der wenigen Frauen, die die Griot-Tradition leben, wird diese doch sonst in der männlichen Linie weiter gegeben. Sich auf der afrikanischen Stegharfe Kora oder der Gitarre begleitend, präsentierte sie Lieder, die einerseits auf den Traditionen ihrer Heimat Gambia basieren, aber durch die Kombination mit modernen Elementen frisch und lebendig wirkten und auch durchaus tanzbar waren. Da hier vor der Bühne ein wenig mehr Schatten herrschte als zuvor bei FERRO GAITA, war auch deutlich mehr Stimmung zu spüren. Einige zogen es dennoch vor, dem Konzert aus der neben der Bühne fließenden Saale zu lauschen.
Überhaupt wurde der Fluss für das gesamte Wochenende zum beliebtesten Aufenthaltsort aller überhitzten Parkbesucher. Ob bekleidet oder textilfrei, ob tanzend oder auf Campingstühlen in der Strömung sitzend, ließen sich viele vom Flußgott Nickert und seinen Saalenixen gerne ins kühle Nass locken. In der Innenstadt waren es die Brunnen, die für Abkühlung und Erfrischung sorgten und dementsprechend belagert wurden. Darüber hinaus bewiesen auch die Veranstalter Umsicht: Nicht nur wurden die Beschränkungen für das Mitbringen von Getränken auf das Gelände für Antialkoholika komplett aufgehoben, sondern es wurden auch Zapfstellen für Trinkwasser eingerichtet. Zudem wurden die Besucher von den Bühnenpräsentatoren immer wieder darauf hingewiesen, auf genügend Wasserzufuhr zu achten.
Und die war dringend notwendig, denn es galt ja nicht nur allgemein den Temperaturen zu trotzen, sondern auch den durch das Tanzen noch einmal deutlich erhöhten Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Bei einigen Gruppen konnte und wollte man einfach trotz Hitze nicht stillstehen! So zum Beispiel bei der israelischen Band RAMZAILECH, die Klezmer, Rock und Punk zu einer hochexplosiven Mischung vereinte, die die Zuschauer vor der großen Bühne gehörig in Bewegung brachte. Einige der Musiker, allen voran Klarinettist und Frontmann Gal Klein, machten mit ihren Instrumenten sogar Ausflüge in die Menge und tanzten ausgelassen mit dem Publikum.
Nicht weniger rockig, doch mehr Lied-orientiert war dann der Auftritt von SÉS auf der Konzertbühne. Die galizische Sängerin, deren Stimme irgendwo zwischen GIANNA NANINI und MELISSA ETHERIDGE rangierte, überzeugte mit Frauenpower, starken Songs und kritischen Texten.
Mit starken Songs ging es auch auf der großen Bühne weiter. Die Singer-/Songwriter-Tradition wird ja gerade auch im Americana-Sektor hochgehalten. Eine der neuen starken Stimmen Amerikas ist RHIANNON GIDDENS. Die als Leadsängerin der CAROLINA CHOCOLATE DROPS und durch ihre Musik zum Coen-Brothers-Film „Inside Llewyn Davis“ bekannt gewordene Künstlerin wandelt seit einiger Zeit auf Solopfaden. Was sie allerdings nicht daran hinderte, die komplette DROPS-Besetzung als Teil ihrer Band mitzubringen. Egal ob Coverversionen von Bob Dylan, Dolly Parton und anderen amerikanischen Folkhelden oder auch eigene Lieder – Die Ausstrahlung der Sängerin und ihre samtene Stimme nahmen einen im Nu gefangen und sorgten für mehr als einen Gänsehautmoment. Für uns zählte das Konzert von RHIANNON GIDDENS zu den absoluten Höhepunkten des diesjährigen TFF. Großes Kino!
Nicht Kino, sondern Zirkus, Cabaret und Revue beschreiben den nächsten Act auf der Konzertbühne. Das heißt, wenn man noch eine Portion Swing, Musical, Jazz, Pop und Burlesque dazupackt, gelegentliche Anleihen bei Balkan- und Mariachi-Musik nicht ausgeschlossen. GABBY YOUNG und ihre Band OTHER ANIMALS waren mit Sicherheit der schrillste Act beim TFF 2015 – musikalisch wie optisch. Mal leise, mal laut, oft schräg aber manchmal auch ernst und dabei herrlich britisch. Die Sängerin und ihre bunte Truppe versprühten jede Menge Energie und gute Laune, die sich auch schnell aufs Publikum übertrug. Auch hier geht der Daumen klar nach oben.
Nicht vollständig überzeugen konnte dann leider der Freitags-Headliner. Dabei stand mit LES AMBASSADEURS nicht weniger als DIE prägende Gruppe des westafrikanischen Manding-Pops in den 70er und 80er Jahren auf der Bühne. Ihr Leadsänger Salif Keita aus Mali gehört gar zu den lebenden Legenden der afrikanischen Musik. Der Altmeister wirkte jedoch bei seinem Auftritt im Heinepark zum Teil müde und abwesend. Zwar konnte man die Stimmung vor der großen Bühne nicht als schlecht bezeichnen, uns konnte das Konzert trotz der sicherlich vorhandenen musikalischen Qualität aber nicht wirklich vom Hocker reißen. Das Prädikat „Afrika-Highlight“ am Freitag gebührt in unseren Augen definitiv SONA JOBARTEH.
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Jede Menge mehr Bilder vom TFF 2015 gibt es hier.