Hans Platz – Timestamps (CD-Review)

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Blickt man sich in der entsprechenden Szene um, so ist man stark geneigt davon auszugehen, dass es auf Dauer reichlich eintönig ist, ausschließlich Mittelaltermusik zu spielen. Die in den letzten Jahren deutlich angestiegene Anzahl der Neben- und Soloprojekte der Musiker spricht jedenfalls dafür – und das ein oder andere dieser Projekte stellt tatsächlich eine echte Bereicherung für die Musikwelt dar. Seit 2008 ist der Gitarrist HANS PLATZ bei den Mittelrockern von FEUERSCHWANZ aktiv und verstärkte auch das ein oder andere Mal die schon beinah berühmt-berüchtigte Erlanger Band J.B.O. auf der Bühne. Wer jedoch glaubt, ihn auf Musik wie die der beiden Comedy-Fraktionen festlegen zu können, hat weit gefehlt und wird mit „Timestamps“ rasch eines Besseren belehrt. Das knackige Solodebüt hat eine ganze Weile auf sich warten lassen, die ältesten der Stücke wurden noch Ende 2008 aufgenommen. Seither ist das Album Stück für Stück gewachsen und das Ergebnis zeigt zweifelsfrei, dass sich die Zeit gelohnt hat.

Die Gitarren auf der Scheibe wurden natürlich von HANS PLATZ selbst eingespielt. Die einzige Ausnahme bildet im vergleichsweise schrillen „Deadman“ ein Gast-Gitarrensolo des schwedischen Musikers Mattias Eklundhs (FREAK KITCHEN). Er richtet in seiner Heimat einmal im Jahr das „Freak Guitar Camp“ aus, das an dem Track „Freak Sauna“ und damit an dem kompletten Album nicht ganz unschuldig ist. Die durchweg präzisen Gitarren stehen zwar im Zentrum des Albums, doch ist darauf nicht einfach ein ausuferndes Gitarrensolo ans nächste gereiht. Im Gegenteil: Selbstbewusst wird auch den anderen Instrumente genug Platz zum Atmen einzuräumen, so dass ein harmonisches Gesamtbild entsteht. Alles andere wäre bei der illusteren, internationalen Gesellschaft, die für das Album gewonnen werden konnte, auch viel zu schade! Deren unterschiedliche Spielstile bereichern die Scheibe um weitere Facetten. An den Drums sind Marco Minnemann, der unter anderem JOE SATRIANI auf Tour begleitete, der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Funk- und Jazz-Schlagzeuger Wolfgang Haffner, Wolfram Kellner (J.B.O., Ex-FIDDLER’S GREEN, war gemeinsam mit Hans auch bei der Band SUSHIFARM aktiv) und Simon Michael (SUBWAY TO SALLY) zu hören. Währenddessen wissen am Bass der für seinen „Heavy Metal Funk“ bekannte US-Amerikaner T.M. Stevens (Bassist bei BILLY JOEL, JOE COCKER, TINA TURNER), der New Yorker Pete Griffin (u.a. ZAPPA PLAYS ZAPPA, STEVE VAI) und der Italiener Fabio Trentini gleichermaßen zu überzeugen. Letzterer zeigt sich zusätzlich für die Produktion der Scheibe verantwortlich.

Das ausgesprochen kurzweilige Instrumentalwerk überrascht in seinen gut 35 Minuten immer wieder. Abgesehen von flotten, Flamenco-inspirierten „Spanish Race on a Devil’s Highway“ sind die Stücke dabei allesamt recht kurz gehalten. Der temperamentvolle Song schlägt um einiges härtere Töne an, als der Opener des experimentierfreudigen Rockalbums, das nicht davor zurückschreckt mit ungewöhnliche Rhythmen zu arbeiten. Durch die Abkehr von festgefahrenen Strukturen wird der Hörer mehr gefordert, als durch Songs, die stur nach Schema F ablaufen und vielleicht ist es gerade dieser erhöhte Mitdenkfaktor, der dafür sorgt, dass die Stücke trotz des gehobenen Anspruchs im Ohr hängen bleiben. „Timestamps“ zeichnet sich durch einen charakteristischer Stil aus, bei dem sich lockere Melodien mit kernigen Riffs und vertrackte Passagen ablösen. Ob nun die funkigen Elemente oder progressive Klänge überwiegen oder ein Hauch Jazz durchkommt: auf hohem Niveau gerockt wird hier durchgehend. Gelegenheit dazu, den Gesang auch nur ansatzweise zu vermissen, bleibt da keine. Eine Zwischenbilanz lässt sich bereits an dieser Stelle ziehen: Die Musik würde auch auf der Bühne Freude bereiten.

Ein Wechselbad der Gefühle erwartet die Hörer in „Father“, das definitiv einen Höhepunkt der Scheibe markiert. Das anfänglich ruhige Stück richtet seinen Blick nach innen und wirkt sehr wenig distanziert. Ein Kontrastpunkt wird anschließend in „Red Room Nine“ gesetzt: hier geht es wieder ordentlich vorwärts. Wunderbar gelungen ist auch das rasanten Klangexperiment „Axetasy“ mit herrlichem Groove im ruhigeren Mittelteil. Während „This is war“, in dem einige gesprochene Sätze zu hören sind, einmal mehr mit seinen schnellen Läufen verblüfft, beginnt „Alive“ leise und sphärisch. Der Song nimmt nach dem Intro deutlich an Fahrt auf, bewahrt sich aber durchweg seinen entspannten Charakter und ist ideal, um den Pulsschlag nach der ganzen Aufregung wieder herunterzufahren.

Fazit: Ohrenschmaus vom Feinsten! „Timestamps“ ist ein melodisches Prog-Rock-Album, das nicht nur Gitarristen lieben werden.

Anspieltipps:
Spanish Race on a Devil’s Highway
Father
Timestamps

Tracklist:
01. Birdrange
02. Spanish Race On A Devil’s Highway
03. Pull It Out
04. Father
05. Red Room Nine
06. Axetasy
07. Freak Sauna
08. Deadman
09. Timestamps
10. This Is War
11. Alive

[Piazza Recordings/Cargo Records]

Janina Stein

Über Janina Stein

Kulturgeographin, Fotografin und freie Journalistin, zuletzt 1 ½ Jahre unterwegs in Neuseeland, Australien und Asien. janina.stein (at) schubladenfrei.de
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