H.G. Wells – „Die Zeitmaschine“ (Hörspiel-Review)

Die Zeitmaschine - CoverOliver Dörings zweiteilige Adaption von H.G. WELLS Science-Fiction-Kult-Klassiker „Die Zeitmaschine“ für das Universal-Hörspiellabel Folgenreich verspricht die Geschichte „neu und modern“ zu erzählen und dabei aber „ganz dicht am Original“ zu bleiben. Wir haben reingehört.

Die Superlative, mit denen das Label für die Neuvertonung wirbt, sind damit aber noch nicht zu Ende: „Ein Hörspiel-Erlebnis der besonderen Art“ und nie sei „die packende Geschichte um einen Mann, der in eine ferne Zukunft reist und dort das Grauen erlebt, aufwendiger inszeniert“ worden, ist zu lesen. Von Kopfkino mit „herausragenden Hollywood-Stimmen“, einem „phantastischen Sounddesign“ und „filmreifer Musik“ ist die Rede. Bescheiden ist anders.

Regisseur und Produzent Oliver Döring ist Hörspielfans durch seine Arbeit bei diversen großen Serien (u.a. John Sinclair, Star Wars, Don Harris) natürlich bestens bekannt. Nun also wagt er sich an den Altmeister H.G. Wells. Um es kurz zu machen, in einigen Punkten sind die vollmundigen Versprechungen der Produktbeschreibung tatsächlich keine Übertreibungen. Was Sounddesign und Musik betrifft, so bewegt man sich hier in der Hörspiel-Oberliga. Das gilt auch und vor allem dafür, dass die Effekte sehr dezent eingesetzt werden und der Dia- beziehungsweise Monolog im Vordergrund steht. Weniger ist mehr, dafür kommt der Einsatz punktgenau und stimmig. Das gilt auch für die Musik, die wie jeder gute Filmsoundtrack das Ganze perfekt und unaufdringlich untermalt.

Die Zeitmaschine - Teil2 - CoverKommen wir zu den Sprechern. Auch hier bekommt man absolut das, was man gemäß der Verheißungen erwarten darf: Da tummeln sich tatsächlich jede Menge hochkarätige Schauspieler und Hollywood-Synchronstimmen. Allen voran zu nennen sind Hans-Georg Panczak (Mark Hamill, Richard Thomas) und Luisa Wietzorek (Emma Roberts, Chloë Grace Moretz, Emily Browning, Juno Temple), die als Erfinder Jack und kindliche Eloi Weena ein wirklich großartiges Duo abgeben Aber auch Bernd Rumpf (Liam Neeson, Alan Rickman), Udo Schenk (Ralph Fiennes, Kevin Bacon), Oliver Stritzel (Philip Seymore Hoffman, Dwayne Johnson), Reinhard Kuhnert (David Strathairn, Peter Coyote, William H. Macy, Jim Broadbent) oder Susanna Bonaséwicz (Isabelle Huppert, Isabella Rossellini, Sissy Spacek, Daryl Hannah, Kelly McGillis, Carrie Fisher) leisten sehr gute Arbeit und selbst noch in den kleinsten Nebenrollen ist das Ganze mit weiteren bekannten Stimmen wie zum Beispiel Sascha Rotermund (Benedict Cumberbatch, Omar Sy) oder Berenice Weichert (Anna Paquin, Hayley Atwell, Chloë Sevigny) perfekt besetzt.

Bleibt „Neu und modern erzählt und doch ganz dicht am Original“. Und hier muss ich tatsächlich gestehen, dass ich sehr zwiegespaltener Meinung bin. Das Skript ist nämlich ganz und gar nicht so dicht am Original, sondern im Gegenteil recht frei gestaltet. Zum einen wurde für die Erzählung eine in Teilen neue Rahmenhandlung geschaffen. Das macht zwar vom Erzählerischen her durchaus Sinn, da es sowohl der im Original diffusen Zuhörerrunde als auch dem dort anonymen belassenen „Zeitreisenden“ mehr Identität verleiht, nimmt aber beinahe den gesamten ersten Teil ein und geht damit zeitlich natürlich zu Lasten der eigentlichen Hauptstory.

So richtig plausibel machen, warum er die Geschichte aus ihrer ursprünglichen Zeit um 1900 in die Endsiebziger des letzten Jahrhunderts verlegt hat, kann Döring in meinen Augen allerdings nicht. Laut eines Interviews hätte ihm das „einige wichtige dramaturgische Kniffe erlaubt“. Es erschließt sich mir allerdings nicht wirklich, welche das gewesen sein sollen und damit stelle ich die ketzerische These auf, dass man es bestimmt auch anders hätte lösen können. So verliert das Ganze leider sehr viel von seinem „Steampunk“-Charme, was umso mehr schade ist, als die Original-Erzählung mit als prägend für eben dieses Genre war.

Gelungen ist es, den dystopischen Charakter des Originals beizubehalten. Auch die ursprünglich auf das späte viktorianische Zeitalter gemünzte Gesellschaftskritik ist durchaus auch im moderneren Kontext erkennbar, funktioniert aber so richtig auch wieder nur durch Einfügung eines im Original nicht enthaltenen „Zwischenstops“ des Zeitreisenden.

Fazit: Gutes Kopfkino ist die neue Umsetzung des Klassikers allemal, dafür sorgen Sounddesign, Musik, hervorragende Sprecher und ein im Großen und Ganzen spannend geschriebenes Skript. Fans der literarischen Vorlage müssen allerdings diverse Abstriche hinnehmen.

„Die Zeitmaschine“ ist übrigens nur der Auftakt einer ganzen Reihe von H.G. Wells – Hörspielen unter Dörings Regie. Bereits angekündigt sind „Das Imperium der Ameisen“ und eine dreiteilige Bearbeitung von „Der Krieg der Welten“. Man darf gespannt sein.

Cast:

Jack                            Hans-Georg Panczak
Weena                        Luisa Wietzorek

Cabbs                         Bernd Rumpf
Peter                           Udo Schenk
Mr. Blank                  Oliver Stritzel
Mr. Chose                  Reinhard Kuhnert
Mrs. Watchett           Susanna Bonaséwicz


sowie Alexander Doering, Sascha Rotermund, Peter Groeger, Roland Wolf, Asad Schwarz, Nico Sablik, Jaron Löwenberg, Christina Puciata, Hans Bayer, Berenice Weichert, Marieke Oeffinger, Matthis Schmidt-Foß, Marianne Groß, Juliane Ahlemeier, Maximiliane Häcke, Marcus Staiger, Annika Gausche Antje von der Ahe und Joachim Kerzel

 Ein Hörspiel von Oliver Döring nach dem Roman “Die Zeitmaschine” von H.G. Wells
Produktion: IMAGA – Alex Stelkens & Oliver Döring
Produktionsleitung und Regieassistenz: Ila Panke
Tontechnik: Thomas Nokielski
Buch, Schnitt und Regie: Oliver Döring

Spieldauer: ca. 59 Minuten
Empfohlen ab 12 Jahren

Florian Hessler

Über Florian Hessler

Archäologe, Historiker und freier Journalist (u.a. Zillo Medieval, Sonic Seducer, Miroque, Metal-District, Piranha) floh.hessler(at)schubladenfrei.de
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