Zum zweiten Mal unter dem neuen Namen präsentierte sich das ehemals als TFF (Tanz- und Folkfest) bekannte Festival im thüringischen Rudolstadt frisch und vor allem frei wie eh und je. Nicht ganz selbstverständlich in Zeiten, da Großveranstaltungen dieser Art immer häufiger von restriktiven Sicherheitsvorkehrungen begleitet werden.
Dass derartige Maßnahmen, wie etwa verschärfte Taschenkontrollen am Einlass, sowieso nur ein falsches Sicherheitsgefühl suggerieren, konnte man ja deutlich in Manchester beobachten, wo sich ein Attentäter eben nicht beim Betreten der Halle, sondern inmitten des die Halle verlassenden Besucherstroms in die Luft sprengte. Anstatt also den Zielen der Terroristen in die Hände zu spielen und Freiheiten zu beschneiden, zeigte man sich in Rudolstadt entgegen so mancher Befürchtung wie immer entspannt. Dass die Organisatoren und die Stadt dennoch nicht fahrlässig handeln oder die Sache zu leicht nehmen, zeigte eine kurz vor dem Festival durchgeführte, groß angelegte Übung von Polizei und Rettungsdiensten, bei der ein Terrorfall simuliert wurde. Nicht sinnlos agieren, sondern im sowieso kaum zu verhindernden Ernstfall vorbereitet reagieren – Daumen hoch!
Etwas weniger gut vorbereitet schienen die Veranstalter allerdings auf eine andere Tatsache, nämlich die, dass das Festival immer mehr Besucher anlockt. In diesem Jahr konnte am Ende der vier Tage ein neuer Rekord vermeldet werden: Rund 100.000 hatten, über das ganze Wochenende gerechnet, den Weg nach Rudolstadt gefunden – eine Zahl, die selbst den Oberbürgermeister der Stadt zu der Feststellung brachte, dass damit „die Kapazitätsgrenze erreicht“ sei. Hier ist allerdings eine etwas differenzierte Betrachtung angezeigt. Das erste Mal an seine Grenzen stieß das Ganze nämlich gleich beim Eröffnungskonzert am Donnerstagabend. Eigentlich kaum verwunderlich, hatten die Veranstalter zum diesjährigen Länderspecial Schottland mit AMY MACDONALD doch einen veritablen Superstar an die Saale gelockt. Entsprechend hoch war dann eben auch der Publikumsandrang. Der Heinepark platze aus allen Nähten und viele konnten das Konzert nur akustisch verfolgen, da selbst die seit einigen Jahren dazugehörende, weit vor der Bühne platzierte Videoleinwand des Fernsehsenders Arte, für einen zu großen Teil der Anwesenden nicht einsehbar war. Dass es sich bei den Massen hauptsächlich um Tageskarten-Besitzer handelte, die nur wegen dieses einen Konzerts gekommen waren, wurde spätestens dadurch deutlich, dass bei JUPITER & OKWESS, die knapp zwei Stunden später auf der gleichen Bühne den Abend beschlossen, vergleichsweise gähnende Leere herrschte. Ein ähnliches Schauspiel konnte
man übrigens am Samstag beim Auftritt des israelischen Chartstürmers ASAF AVIDAN erleben. Auch hier klagten viele über die ungemütliche Überfüllung des Parks, auch hier war das Phänomen auf das eine Konzert beschränkt und auch hier waren wieder die Tageskarten ausverkauft. Angesichts dieser Offensichtlichkeit wäre es seitens der Veranstalter in meinen Augen dringend angebracht, sich Gedanken über eine Limitierung des Tageskarten-Angebots zu machen, gerade um den Besuchern, die nicht nur wegen eines einzelnen Stars, sondern wegen des gesamten Festivals kommen, nicht irgendwann gründlich die Laune zu verderben.
Aber genug der (berechtigten) Kritik, kommen wir zu dem, was in Rudolstadt eigentlich im Vordergrund stehen sollte und gottseidank auch steht – der Musik. Für den großen Fan-Zuspruch kann eine AMY MACDONALD ja nichts und ihre energiegeladene und sympathische Performance war in jedem Fall aller Ehren wert. Weniger bekannt, musikalisch aber mindestens ebenso hörenswert war der nachfolgende Auftritt von BRANKO GALOIĆ und seinem SKAKAVAĆ ORKESTAR. In der Rückschau eigentlich eines der schönsten Konzerte des Festivals, das leider ein wenig unterging, nicht zuletzt dadurch, dass sich im Laufe des Wochenendes nicht nur bei mir eine gewisse Blechblas-Überreizung einstellte. Beendet wurde der Donnerstag von den bereits erwähnten JUPITER & OKWESS, deren kongolesische Afropop-Rhythmen erste Festivalabend entspannt zu ende schaukelten.
Offiziell eröffnet wird das Wochenende traditionell ja erst mit der großen Revue auf der Marktplatzbühne am Freitagabend, aber schon ab Mittag gab es Programm auf nahezu allen Bühnen und dabei auch schon jede Menge zu entdecken, so zum Beispiel zwei Gruppen, die für mich zu den absoluten Festivalhighlights in diesem Jahr zählten. Zum einen die Gruppe TUULTENPESÄ auf dem Neumarkt. Hier wurden einem sozusagen die Flötentöne beigebracht. Zwei Schweden und vier Finninnen spielten zahlreiche Varianten des Instruments, unter denen das eckige Kontrabassblockflöten-Monster wohl die eindrucksvollste war. Das Sextett bewies, das traditionelle Flötenmusik keinesfalls langweilig und schon gar nicht altbacken sein muss. Die durchweg modernen Interpretationen gingen mal Richtung Klassik, mal Richtung Jazz und brachten im wahrsten Sinne des Wortes frischen Wind ins Genre. Dazu wurde das Ganze mit bezauberndem Charme und überaus virtuos dargeboten.
Der andere Nachmittagshöhepunkt kam für mich dann wirklich überraschend, aber eigentlich auch wieder nicht. Denn dass ANNA KATHARINA Kränzlein eine überragend gute Geigerin ist, weiß man, wenn man ihre alte Band SCHANDMAUL kennt (die übrigens auf dem TFF anno 2000 die Nachwuchs-Ruth gewannen – damals hieß das allerdings noch „Folkförderpreis“). Aus jener ist Anna nach 19 Jahren allerdings gerade erst frisch ausgestiegen. „Es war an der Zeit für eine Veränderung“, erklärte sie im Gespräch nach
dem Konzert. „SCHANDMAUL ist einfach sehr probenintensiv, dafür musste ich zweimal die Woche in München sein und dazu kamen die Liveauftritte, das ist mir inzwischen zu viel Zeit, die ich nicht bei meinen Kindern sein kann.“ Neben der Familie will sich die nach wie vor grundsympathische und bodenständige Künstlerin nun eher kleineren Projekten widmen. Eines davon konnte man in Rudolstadt bewundern: Das Programm „Rebellische Saiten“ ist eine Zusammenarbeit mit dem bayrischen Folkquerkopf Florian Ernst Kirner alias PRINZ CHAOS II. Die beiden überzeugten auf ganzer Linie. Bei Anna war ich darauf ja durchaus gefasst, aber ein bayrischer Liedermacher? Da war ich doch zugegeben zunächst skeptisch. Völlig grundlos jedoch, denn die politischen Texte der Lieder – vom Naturschutz über Nelson Mandela bis zu einem vergessenen Helden der bayrischen Räterepublik von 1919 – und die Mischung aus manchmal plakativem, manchmal hintergründigem Humor trafen meinen Nerv ziemlich genau. Musik mit Haltung, die unterhält – eine der schönsten Neuentdeckungen des Wochenendes!
Ein weiterer, von mir bereits sehnsüchtig erwarteter Höhepunkt war dann der abendliche Auftritt von RUPA & THE APRIL FISHES. Nicht nur, dass Frau Marya politisch hoch engagiert ist und entsprechend gute Texte liefert, sie und ihre hochklassige Band schaffen es bei ihren Konzerten auch ein ums andere Mal Stile wie Reggae, Ska, Chanson, Latin, Tango, Funk und Rock zu einer abwechslungsreichen und hochgradig tanzbaren Mischung verschmelzen zu lassen. Mit Klassikern wie „Electric Gumbo Radio“ oder „The Guns of Brixton“ lieferten sie kontinuierlich neues Futter für die ausgelassen feiernde Menge. Aber auch neue Stücke, wie beispielsweise das bissige „Serve and Protect“, in dem die Frage gestellt wird, ob die Polizei in einer Demokratie nicht eher friedliche Demonstranten schützen sollte als die Mächtigen, kamen beim Publikum gut an. Der Song, der anlässlich des Pipeline-Protests in der Standing Rock Reservation entstanden war, erhielten durch die zeitgleichen Ereignisse beim G20-Gipfel traurige Aktualität.
Das ist das Stichwort für BANDA INTERNATIONALE. Während Gazetten-Deutschland durch die Ausschreitungen in Hamburg einmal mehr kollektiv der Meinung war, dieses Land hätte ein Linksextremismus-Problem, erlebt diese Gruppe aus Dresden tagtäglich, dass es eher die entgegengesetzte Gesinnung ist, auf die man mit Sorge blicken sollte. Nachdem die ehemalige BANDA COMMUNALE bereits seit Beginn der Pegida-Aufmärsche lautstark mit Trompeten, Klarinetten und Tubas gegen den braunen Mob anblies, entschlossen sie sich vor einiger Zeit, sich musikalische Mitstreiter aus den Flüchtlingsheimen der Stadt zu holen und änderte dementsprechend seinen Namen. Das Ensemble sieht es als besondere Verpflichtung an, da zu spielen, wo es am nötigsten ist, nämlich in den Stadtteilen oder Ortschaften, in denen bereits Flüchtlingsheime brannten oder anderweitig attackiert wurden. Mit ihrer internationalen Gute-Laune-Blasmusik brachten sie auch das Rudolstädter Publikum zum Tanzen und wurden von der Jury für
ihr Engagement zudem mit der Förder-Ruth bedacht. Nicht die erste Auszeichnung, die die Gruppe deshalb erhielt. Von der Konzertbühnen-Moderatorin darauf angesprochen, hatte Bandmitbegründer Michal Tomaszewski allerdings eine nüchterne – oder soll man sagen ernüchternde – Antwort parat: „Preise sind etwas Schönes und man fühlt sich natürlich geehrt. In unserer täglichen Arbeit vor Ort helfen sie allerdings nichts.“
Nach dem Auftakt mit Amy Macdonald am Donnerstag gab es auch am Freitag einige Konzerte zum Länderschwerpunkt Schottland. Während auf der Burg eher traditionell ausgerichteten Künstler wie MAIREARAD & ANNA oder der Piper-Pate FRED MORRISON aufspielten, zeigten SKETCH zu später Stunde auf dem Marktplatz, dass schottischer Folk durchaus auch clubkompatibel ist. Bei dem elektronischen Groove oder auch dem Mutanten-Cèilidh-Techno, wie die Band selbst ihren Stil nennt, schaffte es kaum jemand, ruhig stehen zu bleiben.
Davon, dass das Ganze auch bei Tageslicht funktioniert, konnte man sich dann am Samstagmittag noch einmal an der Konzertbühne im Heinepark überzeugen. Und dass die Band auch ohne die Elektronik Spaß macht, bewiesen sie dann noch am gleichen Abend im Tanzzelt. Nicht ganz freiwillig allerdings – schuld war schlicht die nicht funktionierende Technik.
Traditionelle Musik in modernem Gewand gab es auch bei der zweiten Gruppe des Tages auf der Konzertbühne zu erleben, jedoch gänzlich anders. Das Ensemble ALMA aus Österreich hat sich ganz der alpenländischen Folklore verschrieben, bewegt sich jedoch Lichtjahre weit von jeglichen Musikantenstadl-Klischees. Ihr Hauptinstrument ist die Geige. Die aus vier Damen und einem Hahn im Korb bestehende Gruppe verpasst der heimischen Volksmusik mit Ausflügen in Jazz und Klassik ein zeitgemäßes Gewand, und wurde für ihre erfrischende Performance dieses Jahr zu recht mit der Festival-Ruth ausgezeichnet.
Ebenfalls sehr progressiv gehen die ANALOGUE BIRDS zu Werke. Das Trio, das sich in Rudolstadt bei einigen Stücken durch eine Sängerin zum Quartett verstärkte, kombiniert unter der Überschrift „Internatural NuBeatz“ Didgeridoo und arabische Oud mit Elektronik und groovig-treibenden Drums. Klingt nach Bewegungsmusik? Kannste wetten. Trotz der herrschenden Temperaturen tanzte sich eine begeisterte Menge in der sengenden Sonne vor der Bühne am Theaterplatz die Seele aus dem Leib. Wieder eine dieser wunderbaren Neuentdeckungen, die so typisch für das Festival sind.
Dazu zählen in diesem Jahr auch die BEARS OF LEGEND. Die siebenköpfige kanadische Band präsentierte auf der großen Parkbühne eine ganz eigene Mischung aus Folk, Pop und ProgRock, in der der klassische Americana-Sound ebenso hörbar war, wie indigene indianischen Rhythmen oder auch Walzer. Ihre Texte schöpfen aus Geschichten und Mythen des nordamerikanischen Kontinents, da schien es fast schon logisch, den Auftritt mit dem modernsten aller Mythen aus den USA zu beginnen – der Titelmusik der Fernsehserie „Game of Thrones“. Damit hatten sie natürlich die eingefleischten Serien-Nerds schon mal auf ihrer Seite (auch der Verfasser dieser Zeilen vergaß vor lauter Verzückung zugegeben beinahe das Fotografieren), aber auch der nicht GoT-affine Teil des Publikums zeigte sich dann von der Musik der Kanadier begeistert, wie der frenetische Beifall erkennen ließ.
Apropos frenetischer Beifall. Den gab es beim abendlichen Konzert von HELGI JONSSÓN auf dem Neumarkt auch reichlich. Verständlich, denn der Auftritt des isländischen Ausnahme-Künstlers zusammen mit seiner fast noch berühmteren dänischen Lebensgefährtin Tina Dico, war für mich der musikalische Höhepunkt des gesamten Wochenendes. Er an Klavier oder Posaune, sie an der Gitarre, bezauberten die beiden aber vor allem mit ihren Stimmen, zu denen sich auch noch die von Schlagzeugerin Marianne Lewandowski gesellte. Der besonderen Magie des für Island so typischen mehrstimmigen Gesangs, wie ihn zum Beispiel etwa auch ÁRSTIĐÍR zelebrieren, kann man sich einfach kaum entziehen und so schwelgte das Neumarkt-Publikum glückselig und traumverloren in den mal fragilen, mal wuchtigen Folkpop-Songs des Quartetts, das von Dennis Ahlgren an der Gitarre komplettiert wurde. Großes Kino! Schade nur, dass viele, die auch gerne dem Konzert gelauscht hätten, keine Chance hatten, dieses Hörgenusses teilhaftig zu werden. Bereits lange vor Konzertbeginn war der enge Platz hoffnungslos überfüllt, was HELGI JONSSÓN zu der scherzhaften Bemerkung veranlasste, dass sie „noch nie vor so vielen Leuten Soundcheck gemacht hätten“. Vielleicht wäre das Konzert auf der kleinen Parkbühne oder der Burgterrasse besser aufgehoben gewesen?
Auch der Sonntag begrüßte die Besucher mit bestem Sommerwetter. Beim Auftritt der nordfranzösischen Gruppe LA BRICOLE wünschte man sich ein wenig von der Meeresbrise, die aus ihren alten Seemannsliedern wehte, denn auf der Burgterrasse war gemeinschaftliches Braten in der Mittagssonne angesagt. Schutz vor den Strahlen des allzu freundlichen Zentralgestirns gab es lediglich unter den Bäumen hinter der Sitzplatztribüne, man musste sich also zwischen Sicht und Schatten entscheiden. Aber über diesen Nachteil des Stahlrohrungetüms habe ich mich ja bereits in den vorherigen Jahren zur Genüge ausgelassen.
Der Name der Gruppe NISHTIMAN, die im Anschluss auf der großen Burgbühne spielte, bedeutet im Kurdischen „Heimat“. Eine solche, zumindest im Sinne eines eigenen Staates, ist den rund 14 Millionen Angehörigen dieses Volkes noch immer verwehrt. NISHTIMAN nahmen das Publikum mit auf eine Reise in dieses Land, das zwar nicht auf der Landkarte, dafür aber umso mehr in den Köpfen der Menschen existiert, in Form seiner Sprache und Traditionen. Zu jenen gehört auch die Musik und die ist, ebenso wie die wechselvolle Geschichte der Kurden, recht vielfältig. Die Gemeinsamkeiten in dieser Vielfalt zu finden und ihr künstlerisch Ausdruck zu verleihen, ist ein Anliegen der Gruppe und damit kamen sie auch beim Rudolstädter Publikum an. Zwar war die Bühnenshow des Sextetts recht statisch, das, was zu hören ist, dafür musikalisch umso hochklassiger.
Der Höhepunkt des Schottland-Specials waren für mich eindeutig BREABACH. Bei dem Quintett handelt es sich samt und sonders um studierte Musiker. Live kommt die bereits mit zahlreichen Preisen überhäufte Truppe aber keineswegs verstaubt akademisch daher, sondern ist eine wirkliche Granate. Explosiv in den Instrumentals und gefühlvoll in den Balladen – scottish trad at it’s best! Und dabei strahlen die fünf eine geradezu entwaffnend gute Laune aus. Im Mittelpunkt steht fast immer Megan Henderson, die sowohl an der Fiddle wie auch mit ihrer glockenklaren Stimme überzeugt. Ach ja, steppen tut sie zwischendurch auch noch. Ein wirklich grandioser Auftritt, der zu Recht vom Rudolstädter Publikum auf der Burgterrasse mit Standing Ovations bedacht wurde. Definitiv einer der Höhepunkte des Wochenendes!
Ein weiterer folgte sogleich und wieder war Schottland das Thema. Die Musiker kamen allerdings nur zum deutlich geringeren Teil von dort, denn das Projekt A MAN FOR A’ THAT versammelte mehr als dreißig Musiker aus zehn Ländern. Eine großartige Bühnenshow war hier schon aus Platzgründen nicht möglich. Musikalisch bekam man auch hier hochklassiges geboten, im Vordergrund standen bei diesem Konzert aber eigentlich die Texte. Die stammten allesamt von Robert Burns, der nicht nur als schottischer Nationaldichter verehrt, sondern dem auch nachgesagt wird, er habe in seinen Texten die Seele Schottlands eingefangen. Einige dieser Texte, bekannte aber auch unbekanntere, wurden von den beteiligten Musikern interpretiert, teilweise auch in der Übersetzung in ihrer jeweiligen Landessprache. So gab es von ELIN KǺVEN aus Lappland zum Beispiel „You walk alone“ auf Samisch zu hören während SUHAIL YUSUF KHAN aus Indien eine Urdu-Version von „Western Winds“ zum Besten gab. Stimmlich beeindruckend war vor allem die jamaikanische Sängerin BRINA, die unter anderem Burns‘ Folk-Evergreen „Ye Yacobites“ interpretierte – in einer Reggae-Version. Zum guten Schluss gab es dann von allen gemeinsam natürlich den schottischen Abschieds-Klassiker schlechthin zu hören: Auld Lang Syne“. Das Konzert war übrigens eine waschechte Festival-Eigenproduktion, die mit allen beteiligten Musikern innerhalb weniger Tage erarbeitet wurde. Da wehte mehr als ein leiser Hauch der alten Magie-Konzerte durch den Burghof.
Die letzten Konzerte des Festivals finden seit Jahren traditionsgemäß im Heinepark statt. In diesem Jahr hatten sich die Organisatoren für den Endspurt noch einige wirkliche Kracher aufgespart. Einer davon war auf jeden Fall ANI DIFRANCO. Die 46jährige ist nach wie vor eine Institution in der amerikanischen Folkszene. Irgendwo zwischen Singer-/Songwriter und Punk singt sie seit Jahrzehnten für Frauenrechte und gegen Rassismus, Sexismus, Missbrauch, Homophobie, Gewalt und Krieg. Das Rudolstädter Festival hatte es ihr besonders angetan. Ob es die friedliche Stimmung, das multikulturelle Miteinander, die nackten Badenden im Fluss oder das Kinderfest waren („Kinder, die mit echten Werkzeugen aus Holz ihre eigene Burg bauen? In Amerika würde man schon für die Idee verklagt…“), Ani zeigte sich restlos begeistert. Ihre gute Laune übertrug sich natürlich auch auf ihre Performance und damit aufs Publikum, das nicht mit Applaus für die sympathisch ehrliche Künstlerin sparte. Hierzu noch eine Bemerkung am Rande: Wie kann es eigentlich sein, dass eine ANI DIFRANCO auf der Bühne die Nacktbader im Fluss zu einem der großen Pluspunkte des Festivals erklärt (und dafür vom Publikum im Park tosenden Beifall erntet), gleichzeitig aber mehrfach Badende von der Security sehr rüde aufgefordert werden, sie sollten sich gefälligst etwas anziehen?
Kurz vor Schluss gab es dann noch einmal schottische Klänge und die hatten es auch noch einmal so richtig in sich. Nachdem bereits die zahlreichen Auftritte von SKETCH hinlänglich bewiesen hatten, dass Dudelsack und elektronischer Clubsound sich gut vertragen, bewies die Gruppe NITEWORKS nun ein weiteres Mal den Reiz dieser musikalischen Symbiose. Im Gegensatz zu den zitierten Kollegen, die den Fokus eher auf groovigen Dancefloor-Techno-Sound setzen, wirkte der Ansatz von NITEWORKS ein wenig sphärischer und psychedelischer. Dazu trug auch die Stimme von Sängerin Ellen MacDonald maßgeblich bei. Teilweise erinnerte das Ganze von der Stimmung her ein wenig an das großartige AFROCELT SOUND SYSTEM, wenn auch der afrikanische Anteil natürlich fehlte.
„Do the Reggay“ – dieser Songtitel von TOOTS & THE MAYTALS aus dem Jahr 1968 gab einer ganzen Musikrichtung ihren Namen. Derzeit ist die Gruppe um den inzwischen 72jährigen Songschreiber Frederick „Toots“ Hibbert wieder auf den Bühnen der Welt unterwegs. In Rudolstadt gebührte ihnen die Ehre des Abschlusskonzerts. Toots war bei seiner energiegeladenen Performance das hohe Alter in keinster Weise anzumerken und zusammen mit seiner Band zelebrierte der Altmeister auf der großen Heineparkbühne ein Roots-Reggae-Feuerwerk vom allerfeinsten, das die Massen noch einmal kollektiv zum Tanzen brachte und einen wunderbaren Schlusspunkt unter ein einmal mehr außergewöhnliches Wochenende setzte.
Natürlich sind die hier besprochenen Konzerte nur ein verschwindend geringer Teil dessen, was man an diesem Wochenende erleben konnte. Die Auswahl, die man aus dem großen Angebot zwangsläufig treffen muss, ist immer subjektiv So mag mancher Leser ganz andere Künstler gesehen haben. Was bleibt also als generelles Fazit? In jedem Fall die eben erwähnte Außergewöhnlichkeit. Das Rudolstadt-Festival lässt sich mit keinem anderen Festival hierzulande vergleichen. Es sind aber nicht nur die Superlative, wie die Zahl der Bühnen oder der auftretenden Künstler und schon gar nicht der eingangs erwähnte neue Besucherrekord, die dem Festival ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Nein, es ist diese ganz besondere Stimmung, die sich in den vier Tagen über die Stadt legt und die man allen, die noch nie da waren, nur schwer mit Worten beschreiben kann. Die freundlich entspannte Atmosphäre war durchaus auch der großteils ebenfalls gelassenen Security zu verdanken, von denen die meisten angesichts des Besucheransturms einen wirklich guten und professionellen Job gemacht haben. Leider muss trotzdem erwähnt werden, dass es da auch ein paar Ausnahmen gab, ebenso wie die Tatsache, dass einige der Ordnungskräfte ihre politische Gesinnung nur schwer verbergen konnten. Abends auf demCampingplatz von einem Ordner begrüßt zu werden, dem ein riesengroßes „Race War“ Tattoo am Arm prangt, empfände ich bei jeder Veranstaltung als befremdlich. Auf ein Festival wie dieses aber gehören solche Personen noch viel weniger, schon gar nicht in offizieller Funktion. Wie gesagt, es handelte sich hier aber um Ausnahmen.
Eines sind die vier Tage auf jeden Fall, nämlich friedlich. Es wurde sogar kolportiert, von Seiten der lokalen Polizeikräfte hätte es die Bemerkung gegeben, dass sie in der Zeit des Festivals – in denen sich die Einwohnerzahl immerhin mal eben fast verdreifacht – weniger Einsätze hätte, als an normalen Tagen. Da wünscht man sich doch, es wäre jeden Tag Rudolstadt-Festival.
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