Als uns die Einladung erreichte, einen ganzen Tag zusammen mit BERLINSKIBEAT beim 22. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus zu verbringen, gab es nicht viel zu überlegen. So fand ich mich denn an einem Samstag morgen vor dem Hauptquartier der Band im Berliner Osten ein und war zunächst erstaunt, dass wohl einige andere eingeladene Kollegen es vorgezogen hatten, zu Hause zu bleiben und ihren Samstag nicht zu opfern. Vielleicht war um 11 Uhr morgens auch einfach zu früh? Eigentlich seltsam, denn obwohl die Formation BERLINSKIBEAT noch relativ unbekannt ist, stehen dahinter doch die Musiker der Mittelalter-Szene-Urgesteine von CORVUS CORAX.
„Naja, das eine hat ja auch auch mit dem anderen gar nichts zu tun, also CORVUS CORAX und BERLINSKIBEAT. Außer dass beides wir sind“, grinst Castus.
Warum auch immer, tatsächlich ist außer mir nur noch ein weiterer mit an Bord, als sich der Reisebus Richtung Cottbus in Bewegung setzt. Während wir beiden Journalisten uns erst einmal beschnuppern, nutzen die Bandmitglieder die Fahrt entweder zum Lesen, schlafen oder auch um sich die schwarzen Fingernägel nachzulackieren, je nach persönlicher Laune. Bandmanagerin Doro ist allerdings schon ganz professionell bei der Sache und verteilt den Ablaufplan des Tages. Zwar ist die Band in der Hauptsache für die Abschlußparty des Festivals im „Gladhouse“ gebucht, aber davor sind noch jede Menge andere Termine zu absolvieren:
Erster Stop ist die Cottbusser Stadthalle – ein Interview mit dem Sender „RadioEins“ vom RBB steht an. Moderator Knut Elstermann, in der Hauptstadt auch bekannt als „Kino-King-Knut“, berichtet bereits seit Beginn des Filmfestivals jeden Tag live aus der Nachbarstadt. Routiniert beantworten Castus und Norri die Fragen und machen gleichzeitig noch ein bißchen Werbung für das Konzert am Abend. Nach dem Gespräch outet sich Castus als Fan des Senders: „Ich bin ja großer RadioEins-Hörer. Es ist immer wieder total spannend zu sehen, wie die Leute zu den Stimmen aussehen.“
Nächster Stop ist dann das „Gladhouse“, ein gemütliches Jugend-Kulturzentrum in der Innenstadt, mit wirklich sehr nettem Personal (und absolut traumhaft niedrigen Getränkepreisen). Bevor der Bus ausgeladen wird, wird erst mal das Backstage bezogen. Mit einer langen Tischreihe, ein paar Stühlen, zwei Kühlschränken mit kalten Getränken und ein wenig Wurst, Käse und Obst wirkt das Ganze nicht wirklich luxuriös und schon gar nicht abgehoben. Mein Kollege wundert sich dann auch, man höre ja so viel von den unmöglichen Ansprüchen, die Bands da teilweise hätten. „Naja, wir haben schon auch eine Liste mit Dingen, die wir da haben wollen. Also zumindest sollte immer Rotwein vorhanden sein. Das muss jetzt nicht unbedingt ein französischer von achtzehnhundertirgendwas sein, aber ausreichend“, lacht Wim. „Und wir legen zum Beispiel Wert auf dunkle Handtücher für die Bühne. Das liegt einfach daran, dass helle, vor allem weiße, das Licht zu sehr reflektieren und damit mehr auffallen.“
Nachdem der Bühnenaufbau steht, ist langsam der Soundcheck dran. Norri hat allerdings ein Problem: Seine Trommeln befinden sich noch im Bus und der ist abgeschlossen. An sich kein Problem, wäre nicht der Busfahrer verschollen. Natürlich hat niemand die Handynummer. Nach langem Telefonieren gelingt es endlich, ihn über die Busfirma zu erreichen. Vor ganz anderen Herausforderungen steht Steve. Als er das Akkordeon probiert, klemmt eine Taste. „Verdammt, das ist einer von den drei Tönen die ich brauche! Hat jemand Uhrmacherschraubenzieher dabei?“ Das leider nicht, aber bei den Bühnentechnikern findet sich schließlich ein Letterman – und der kann ja bekanntlich alles. Mit einer kleinen Operation wird das Instrument wieder gangbar gemacht.
Kurz vor sechs ist dann wieder Abmarsch zur Stadthalle, wo die Band zu Beginn der offiziellen Preisverleihung im großen Saal einen Song akustisch darbietet. Direkt beim ersten Griff reißt eine Seite von Castus Cister. Egal, er ist Profi genug den Auftritt durchzuziehen. Scheinbar tritt das Problem aber auch nicht zum ersten Mal auf, denn Castus sinniert den ganzen Abend darüber, was man am Instrument verändern könnte, damit nicht immer die gleiche Seite reißt.
Wieder zurück im Gladhouse ist erst mal Abendessen angesagt. Dann beginnt das große Warten. Da dem Filmfest-Publikum nach der Preisverleihungszeremonie die Möglichkeit gegeben werden soll, gemütlich die Location zu wechseln, ist der Auftritt erst für 23 Uhr vorgesehen. Jeder vertreibt sich die Zeit anders. Während Hatz sich in eine bekannte Berliner Tageszeitung vertieft, surfen andere im Internet oder dösen einfach vor sich hin. Hier macht sich allerdings der Mangel an weichen Sitzgelegenheiten störend bemerkbar. „Ich glaube wir sollten denen mal ein Scheselong spendieren! Nächstes mal bringen wir einfach eins mit, in Berlin stehen ja genug an der Straße“, befindet Wim, bevor er es sich mit seiner Freundin auf dem blanken Boden gemütlich macht. In einer anderen Ecke des Raumes hat sich Vit schon lange mehr oder weniger gemütlich ausgestreckt.
Irgendwann ist es dann endlich soweit. Gespannt steht die Band am Aufgang zur Bühne, während das Intro läuft. Passend zum Filmfestival wurden dafür die ersten beiden Teile der neuen Videoreihe „Auf der Suche nach Mutti“ ausgewählt. (Wer die Weltraum-Trash-Saga noch nicht kennt – hier wird man fündig.) Als die Beatniks schließlich die Bühne betreten, geht das Publikum von Beginn an gut mit, in den ersten Reihen wird bereits ausgelassen getanzt. Die Stimmung steigert sich während des Auftritts dann immer mehr. Obwohl die Songtexte von BERLINSKIBEAT zum überwiegenden Teil die Hauptstadt hochleben lassen, fühlen sich die Musiker auch dem Cottbusser Publikum sehr verbunden, feierten sie hier doch vor Jahren mit CORVUS CORAX die Premiere ihres Cantus-Buranus-Projekts. Entsprechende An- und Aussagen der Band werden vom Publikum natürlich laut bejubelt.
Nach etwa 90 Minuten und der Zugabe „Feuerwehrmarsch“ ist der Löwenanteil der Arbeit geschafft und die Band verlässt verschwitzt und zufrieden die Bühne. Kaum wieder im Backstage ist Castus aber schon wieder am Grübeln. Das Problem mit der Cister lässt ihn immer noch nicht los, er sinniert weiter über Lösungsmöglichkeiten: „Wim, kannst Du mir da einen anderen Steg anschrauben.“ – „Klar, da schrauben wir einfach ein Stück Holz dran!“
Vit organisiert derweil erst mal eine Flasche Slivovitz aus dem Buskühlschrank. Nach seinen Angaben wurde das Stöffchen vom Bürgermeister seines Heimatorts persönlich geprüft – na denn Prost auf ein gelungenes Konzert! Während der Rest noch kurz entspannt, ist Steve schon wieder im Dienst, diesmal als DJ. Nach einiger Zeit stösst überraschend fürs Publikum die Band nochmal dazu und steigt mit den Instrumenten zum Beat ein.
Doch nicht nur das Publikum, auch die Band wird an diesem Abend überrascht: Plötzlich erklimmt eine blonde Dame spontan die Bühne, schnappt sich ein Mikro und fängt an zur Musik zu scatten. Da sie zu wissen scheint, was sie tut, steigt die Band auch sofort darauf ein und die DJ-Variante von „Heidutzki Tanez“ ist damit um ein neues Element erweitert. Als die Blondine nach dem Song die Bühne wieder verlässt, fragt sich der gesamte Band-Tross: „Wer zur Hölle war das eigentlich?“
Wenig später finden wir heraus: Es handelt sich um die Haupt-Preisträgerin des Festivals, Maria Sadowska, die am gleichen Abend für ihren Film „Frauentag“ mit der „Lubina“ ausgezeichnet wurde. Eigentlich ist die Dame ja hauptberuflich Sängerin, und in unserem Nachbarland schon längst keine Unbekannte mehr. Dass sie mit ihrem cineastischen Erstlingswerk gleich den Hauptpreis auf einem renommierten deutschen Filmfestival gewinnen würde, hätte das blonde Energiebündel sich allerdings nicht träumen lassen. „This is the happiest day in my whole life. I just have to sing it all out!“, strahlt sie dann auch, als sie morgens um halb drei der Band auf vielfachen Wunsch noch einen Besuch im Backstage abstattet. Und obwohl ihr Flieger zurück nach Polen bereits in wenigen Stunden abhebt, ist Maria noch immer in ungebremster Feierlaune. Die Herren lassen sich aber natürlich auch nicht lange bitten – im Nu haben Vit, Wim und Norri die Trompete, Tuba und Trommel bei der Hand und schon entwickelt sich die schönste Session. Am Ende tanzt der Überraschungs-Ehrengast sogar mit Pan Peter auf dem Tisch. Wenn da nur das Shuttle zum Flughafen nicht warten würde…
Als Maria schließlich gezwungenermaßen die Veranstaltung verlassen muss, blasen Vit und Wim zum Abschied eine südamerikanisch angehauchte Trauermelodie. „Ey, dit klingt ja wie uffm Friedhof bei Euch“, stellt Steve unter allgemeinem Gelächter fest.
So langsam macht sich dann aber bei den meisten die Müdigkeit breit. Wen wunderts, es ist ja auch schon vier Uhr morgens. Also aufräumen, einräumen und wieder zurück nach Berlin. Ja, haste Dir gedacht… Während der Großteil der Reisegesellschaft schon im Bus sitzt, muss die Partyfraktion erst noch aufrauchen. Vor allem Vit ist gar nicht tot zu kriegen. Zuguterletzt sind dann aber doch irgendwann alle an Bord. Als es langsam hell wird, erreichen wir schließlich wieder das heimatliche Berlin. Der Tag hat gerockt – aber nun nichts wie ins Bett!