Wie viele bereits mitbekommen haben werden, befand sich unter den Opfern des Amoklaufs im norwegischen Kongsberg am 13. Oktober dieses Jahres auch die aus Deutschland stammende Künstlerin Andrea Meyer, die wohl den meisten hauptsächlich durch ihr Musikprojekt HAGALAZ‘ RUNEDANCE ein Begriff sein dürfte. Dass ihr künstlerisches Œuvre jedoch weit größer und vielschichtiger war, wissen die wenigsten. Wir wollen aus diesem traurigen Anlass hier ihre Karriere noch einmal kurz Revue passieren lassen.
Andrea Meyer wurde 1969 in Hannover geboren. Anfang der 90er zog sie, angezogen von der dort boomenden Underground- und Gothic-Szene, nach London, wo sie teilweise in besetzten Häusern lebte. Sie arbeitete sie zunächst Model, zog sich jedoch nach kurzer Zeit (nach eigenen Aussagen wegen der Oberflächlichkeit der Branche) aus diesem Berufsfeld zurück. Ihre musikalische Karriere begann sie als Backgroundsängerin bei der Extreme-Metal-Band CRADLE OF FILTH (auf deren 1993er Debut-Album “The Principle of Evil Made Flesh”).
Auf einer Tour mit CRADLE OF FILTH lernte sie ihren späteren Ehemann Tomas Thormodsæter “Samoth“ Haugen, den Gitarristen der norwegischen Black-Metal-Band EMPEROR kennen, mit dem sie eine Tochter hat und dessen bürgerlichen Nachnamen sie auch nach ihrer Scheidung behielt.
1994 gründete sie das Dark Ambient Projekt AGHAST, mit dem sie ein Jahr später ein Album veröffentlichte (“Hexerei im Zwielicht der Finsternis”).
Die größte internationale Bekanntheit und den größten Erfolg erlangte sie wie schon gesagt mit ihrem Projekt HAGALAZ‘ RUNEDANCE mit dem sie viele spätere Bands der Pagan-Szene nachhaltig beeinflusste. So schrieb etwa Håvard “MORTIIS” Ellefsen, ebenfalls Gründungsmitglied von EMPEROR, in einer Reaktion auf die Todesnachricht auf Facebook: “Andrea Meyer. Du hast pagan-inspirierte Musik geschaffen, bevor es alle anderen cool fanden.“
Auch Oliver Satyr von FAUN würdigte die Künstlerin in einem Post als große Inspiration, vor allem in den Anfangstagen der Band.
Eine einseitige Zuordnung zur nordisch-paganen, Wikinger- oder Mittelalterszene bereitete Meyer jedoch stets Bauchschmerzen. Nachdem sie mit HAGALAZ‘ RUNEDANCE insgesamt drei Alben und eine EP veröffentlicht hatte, beendete sie deshalb 2002 das Projekt offiziell und widmete sich unter ihrem alten AGHAST-Künstlernamen NEBELHEXË nun wieder eher experimentell-düsteren Ambientklängen.
Musik war jedoch nicht Meyers einzige Ausdrucksform. Sie schrieb Gedichte, Kurzgeschichten und Artikel (u.a. für die norwegische Zeitung „Rimfrost“) und veröffentlichte mehrere Bücher (ab 2010 unter dem Namen Andréa Nebel). Am bekanntesten ist wohl ihr 2000 erschienenes Werk „The Ancient Fires of Midgard: Understanding the Northern Myths and Traditions“. Zu ihrem Kurzgeschichten-/Gedichtband „The Dark Side of Dreaming“ veröffentlichte sie 2011 eine Spoken Word CD. Zudem schrieb sie Filmmusiken und Filmskripts.
Es folgte die Wiederbelebung ihres Projekts AGHAST, nun unter dem neune Namen AGHAST MANOR, mit dem sie 2012 und 2013 jeweils ein neues Album veröffentlichte.
Meyer hatte Wohnsitze in England und Norwegen. Zuletzt war es eher ruhig geworden um sie. Dass die Künstlerin aber durchaus an neuen Ideen und Projekten arbeitete, kann man einem Facebook-Post von Holger Funke von der Band POETA MAGICA entnehmen, der sich, wie so viele entsetzt über den Tod Meyers zeigte: „Andrea war Gast in meinem Haus, mit Poeta Magica haben wir uns auf Konzerten von Norwegen bis in die Schweiz getroffen und hatten einige Pläne für die Zukunft. Ich kann es nicht glauben.“
Neben den bereits zitierten Reaktionen zeigten sich viele weitere Künstler*innen und Bands betroffen und würdigten Meyer in zahlreichen Social Posts. Exemplarisch seien hier zum Ende die Worte von SUBWAY TO SALLY angeführt, denen wir uns anschließen möchten:
Meyer, die sich selbst in einem Interview als „Forscherin“ beschrieb, die „mentale Herausforderungen liebt“, lehnte, wie schon oben bemerkt, Stereotypen stets ab und wehrte sich dagegen, in Schubladen gesteckt zu werden. Mit ihrem Tod hat nicht nur die deutsche Underground Musik- und Kunstszene eine der vielleicht vielseitigsten und definitiv interessantesten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte verloren.
R.I.P.