DOTA – „Die Freiheit“ (CD-Review)

DOTA - Die Freiheit - Cover

„So viel Freiheit, ich bin überfordert.
Was mach ich daraus?
Ich such mir einen Yoga Lehrer, der mir sagt,
wann ich einatmen soll
und wann aus.“

Exakt auf diese wenigen Zeilen beschränkt sich das Titelstück des neuen Albums von Dorothea Kehr aka DOTA. Mitsamt musikalischer Untermalung und Umrahmung sind das nicht mehr als 1:17 Spielzeit. Damit kann man „Die Freiheit“ weniger als Song bezeichnen, vielmehr mutet der Absatz lediglich an wie ein Auszug, der aus einem typischen DOTA-Song stammen könnte. Denn wie das bei Frau Kehr so üblich ist, verstecken sich in vielen ihrer Lieder oft geradezu grandiose Zeilen oder Verse, die weit über das eigentliche Thema des Songs wirken und so als geflügelte Worte in vielen Lebenslagen zitierbar sind. Im vorliegenden Fall gibt es also gleich nur noch das Zitat, ganz ohne Song – der perfekte Minimalismus.

Doch natürlich gibt es auf dem Album auch noch genügend „vollständige“ Songs. Mit der bereits vorab veröffentlichten Single „Raketenstart“ zum Beispiel erzählt die Sängerin vom Start der letzten wenigen Privilegierten, die versuchen, sich vor der Umweltkatastrophe auf unserem Planeten in den Weltraum zu retten.

„Wir haben die Katastrophe kommen sehen,
wie unsere Ur-Ur-Urgroßeltern schon.
Die gleichen Idioten, das gleiche Problem –
neue Generation.“

Da sind sie schon wieder, diese geflügelten Worte. Denn der Satz passt momentan leider auf sehr vieles, das gerade auf der Welt geschieht.

DOTAs neues Album ist, wie man es von ihr kennt und liebt, eine Momentaufnahme des Jetzt, wenn auch vielleicht mit der Einschränkung eines meist sehr urbanen Blickwinkels. Diese Aufnahmen sind manchmal poetisch, teils aber auch schonungslos und direkt, wie etwa bei „Schwangere Frauen“, bei der im wahrsten Sinne des Wortes kafkaesken Dystopie „In der Hand“ oder auch bei „Nackte Beine“ – einer bitterbösen Abrechnung mit chauvinistisch-männlichen Gepflogenheiten bis hin zum Fleisch-Grill-Fetisch. Das Lied kann und darf man übrigens auch gut finden, wenn man wie ich nach wie vor gerne über Holzkohleglut gebratenes totes Tier verzehrt.

Eines meiner Lieblingsstücke auf dem Album ist definitiv „Zwei im Bus“. Der Song ist schon lange Teil von DOTAs Liverepertoire und an trauriger Aktualität leider kaum zu überbieten, stellt er doch ganz direkt an jeden von uns die Frage, wie wir selbst mit Rassismen im Alltag umgehen.

Egal jedoch, wie schwer die Themen und wie direkt die Aussagen auch sein mögen, DOTA versteht es auch auf „Die Freiheit“ wieder, Worte und Melodien zu finden, die auf den ersten Eindruck wundersam leicht wirken, gerade deshalb aber umso unmittelbarer und tiefer in Herz und Hirn treffen. In ihren Songs zeigt sie sich einmal mehr als sehr aufmerksame Beobachterin und ihr Talent, diese Beobachtungen und Erlebnisse so zu verpacken, dass sich der Zuhörer immer auch selbst darin wiederfinden kann, ist ungebrochen. So können bestimmt auch Nicht-Berliner die typische Späti-Szenerie in „Internetshop“ nachempfinden und auch „Prinz“, in dem sie die Unverbindlichkeit moderner Beziehungen beschreibt, – da könnte ja immer noch was Besseres, womöglich gar der ideale Partner vorbeikommen – transportiert ein Gefühl, das viele kennen dürften und das nicht unbedingt auf den großstädtischen Raum beschränkt ist.

Das Album ist in vielen verschiedenen Editionen erhältlich, bis hin zum limitierten Box-Set (inkl. Turnbeutel, 60-seitigem Songbook mit Gitarrentabulatur und Akkorden, handsignierter Postkarte und Sticker). Wir empfehlen auf jedem Fall zumindest die Doppel-CD, denn die acht Bonus-Songs (Achtung, Hidden-Track!) sind es auf jeden Fall wert.

Fazit: Poetisch, politisch und am Puls der Zeit. Man könnte sagen: State of the Art der deutschsprachig-urbanen Liedermacherei. Oder auch ganz einfach: ein typisches DOTA-Album.

 

DOTA
Die Freiheit
Kleingeldprinzessin Records
2018

 

Tracklist (2-CD):

1. Bunt Und Hell
2. Raketenstart
3. Prinz
4. Nackte Beine
5. Fuer Die Sterne
6. Schwangere Frauen
7. Privat
8. Internetshop
9. Privat
10. Kapitän
11. Privat
12. Orte
13. Die Freiheit
14. Rassistischer Witz
15. Jeden Tag Neu
16. Privat
17. In Der Hand
18. Privat
19. Drahtseil
20. BONUS: Der Himmel
21. BONUS: Astronaut
22. BONUS: Sie tanzt
23. BONUS: Unterm Schnee
24. BONUS: Hyazinthen
25. BONUS: Liebe Freunde
26. BONUS: Neonlicht
27. BONUS: Den lieben langen Tag (Hidden Track)

Florian Hessler

Über Florian Hessler

Archäologe, Historiker und freier Journalist (u.a. Zillo Medieval, Sonic Seducer, Miroque, Metal-District, Piranha) floh.hessler(at)schubladenfrei.de
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