Das Rudolstadt Festival 2025 in Worten

Für Folk- und Weltmusik-Fans in Deutschland ist das erste Wochenende im Juli ein absoluter Pflichttermin. Auch die 33. Ausgabe des Rudolstadt-Festivals lockte wieder zahlreiche Besucher*innen in die gleichnamige Stadt im thüringischen Saale-Tal. Und wie immer konnte man auf den mehr als 30 Bühnen sowohl bekannte Stars als auch hoffnungsvolle Newcomer*innen erleben.  

Eine der ältesten Traditionen und in jedem Jahr einer der interessantesten Programmpunkte beim Rudolstadt-Festival ist das jährliche Länderspecial. Diesmal stand mit Mali ein Land im Fokus, das durch seine Multiethnizität auch eine große Vielfalt an sehr diversen Musikstilen aufweist und einige der großen Namen der westafrikanischen Musik hervorgebracht hat.  

SADIO SIDIBE, die mit ihrem Konzert das Festival am Donnerstagabend eröffnete, zählt aktuell zu diesen großen Namen. Sie stammt aus der Wassoulou-Region im Südosten Malis, wo sich in den 1970er Jahren ein neuer Stil entwickelte, der vor allem unter der Jugend starken Zulauf erhielt. Ähnlich wie die wohl bekannteste Vertreterin der Wassoulou-Musik, OUMOU SANGARÉ, setzt sie sich in ihren Liedern für die Tradition ihrer Heimat und die Rechte der Frauen, Kinder und kommenden Generationen ein. Mit ihrer stimmungsvollen Performance bot SADIO SIDIBE mit ihrer Band einen wunderbaren Auftakt sowohl ins Länderspecial wie auch ins gesamte Wochenende.

Der wohl größte Star aus Mali, den man in diesem Jahr in Rudolstadt erleben konnte, war definitiv Gitarren-Virtuose VIEUX FARKA TOURÉ. Dem Sohn des legendären „King of the Desert Blues“ ALI FARKA TOURÉ, der inzwischen selbst mit dem Beinamen „Hendrix der Sahara“ geadelt wurde, gebührt zusammen mit seiner Band definitiv der Sonderpreis für die Performance mit dem größten Coolness-Faktor. Künstlerische Brillanz, unaufgeregt vorgetragen mit minimalistischer Show und Sonnenbrillen – großartig! Und musikalisch auf jeden Fall eines der Highlights in diesem Jahr! [FH]

Ein Pfeife rauchender, Fiddle spielender älterer Nachbar war es, der erstmals versuchte, dem jungen Jourdan Thibodeaux die Geige näher zu bringen. “When you gon’ to let me learn you to play that fiddle, boy? They’re going to take you all over the world and put you in nice hotels.” Dieser Nachbar war Louis Foreman, ein Mitglied der berühmten LAFAYETTE PLAYBOYS, der leider verstarb bevor es zum angebotenen Unterricht kam, aber er legte trotzdem den Grundstein zur Karriere von JOURDAN THIBODEAUX ET LES RÔDAILLEURS, die im heißen Hof der Heidecksburg eine nahezu heimische Betriebstemperatur vorfanden. Lediglich die Luftfeuchtigkeit Thüringens ließ sich mit den Sümpfen Louisianas nicht ganz vergleichen. Dennoch war das Publikum ob der Hitze wohl weniger tanzwütig als erwartet, wie sich der Musiker scherzhaft beklagte. [TR]

Zurück zu den Sternen: Die Frage eines Mitglieds unserer Reisegruppe „haben wir da etwa die Geburt von neuen Stars miterlebt?“ möchte ich im Hinblick auf die damit gemeinten KIDS WITH BUNS mit „ja“ beantworten. In ihrer Heimat sind sie es bereits, nicht zuletzt durch den Gewinn des Talentwettbewerbs „De Nieuwe Lichting“ von Studio Brussel im Jahr 2021. Wenn das belgische Duo nicht alles falsch macht, sollte dem weiteren kometenhafter Aufstieg der beiden auch am gesamteuropäischen Indie-Rock-Himmel ebenfalls nichts im Wege stehen. Die markante Stimme von Marie Van Uytvanck und das druckvolle Gitarrenspiel von Amber Piddington erschaffen zusammen wunderschöne Songs, die frisch und frech klingen und dennoch von zeitloser Schönheit sind. Die ansteckende Energie und geballte Bühnenpower der beiden sorgte in Rudolstadt gleich zweimal für ein kleines Wunder. So brachten sie nicht nur bereits am frühen Freitagnachmittag das Publikum an der kleinen Parkbühne komplett zum ausrasten, sie schafften es am Samstagabend sogar, das eingefleischte Sitzpublikum an der Marktbühne nicht nur binnen kürzester Zeit zum aufstehen, sondern sogar zum kollektiven hüpfen zu animieren! Zwei denkwürdige Auftritte und für uns definitiv die schönste Neuentdeckung des diesjährigen Festivals.

Der Freitag konnte aber noch mit weiteren Höhepunkten aufwarten: YOKO PWNO aus Edinburgh etwa wurden jüngst von der BBC als „einer der beliebtesten Live-Acts in Schottland“ bezeichnet. Wer die Spielfreude des siebenköpfigen Folktronica-Ensembles in Rudolstadt erlebte, den verwundern solche Aussagen nicht. Die Schott*innen versprühten so viel gute Laune, dass diese sich sehr schnell aufs Publikum übertrug und zusammen mit treibenden Dance Beats, gepaart mit Fiddle Flöte, Banjo, Gitarre und Saxophon, dafür sorgte, dass sich die Menge vor der Konzertbühne schon bald kollektiv in Bewegung befand. Da zuckten de Beene janz von alleene.

Die letzte formidable Neuentdeckung des Tages war der Park-Headliner des Freitagabends – die BIG BAND OF BOOM aus Birmingham. Hier ist der Name Programm! Die kongeniale Rock-Swing-Techno-Reggae-Fusion des 10-köpfigen Ensembles und der Spaß, den die Briten auf der Bühne hatten, ließen den Funken schnell überspringen und mit Schlagzeug, Bass, Keyboards, Gitarren, Trompeten, Saxophonen, Posaunen und Gesang verwandelte die Band den Park um Mitternacht noch einmal in einen wahren Hexenkessel. Was für eine Party! [FH]

Flinke Füße – die braucht man, wenn man bulgarische Volkstänze tanzen möchte. Die 14-16 Jahre jungen Protagonist*innen von CHINARY JUNIOR auf der Marktbühne am Samstagmittag hatten wirklich sehr flinke Füße, gepaart mit einer beeindruckenden Sprungkraft und waren dabei erstaunlich präzise und synchron. Begleitet wurden sie dabei von Akkordeon, Dudelsack, Tamburin und Trommeln, die zum Teil von den Tänzer*innenn auch in ihre Performance eingebunden wurden.

An gleicher Stelle spielten LIDOVÁ MUZIKA Z CHRÁSTU (zu Deutsch: VOLKSMUSIK AUS CHRÁSTU) am Nachmittag böhmische Lieder in historisch anmutenden Kostümen und überraschten dabei auch mit deutschen Textpassagen. Sie sind wohl derzeit das einzige Ensemble Tschechiens das sich auch mit sorbischer Musik beschäftigt.

Kurze repetitive Melodien, im Wechsel gesungen oder auf der Soukou gespielt, verbunden mit druckvollen Rhythmen gespielt auf einer Kalebasse, hörten wir von SAHEL ROOTS, einem Duo aus Bamako (Mali). Die Mischung aus ausgelassenem Tanz und Solo von Soukouspieler ADAMA SIDIBE,  der sich keck einen farblich zum blauen Boubou passenden Kamm ins Haar gesteckt hatte, endete rücklings auf dem Bühnenboden. [TR]

Das Beste aus zwei Welten – so könnte man die französisch-kolumbianische Bassistin und Sängerin ËDA DIAZ beschreiben. Mit ihrem innovativen Mix aus traditionellen lateinamerikanischen Klängen, experimentellen Pop-Einflüssen und elektronischen Elementen erschafft sie, verbunden mit Poesie und Tanz einen ganz eigenen Stil, den sie als „französischen Touch auf kolumbianische Art“ bezeichnet. Mit ihren minimalistischen, oft auch nur angedeuteten, Latin Dance Moves und Hüftschwüngen versprühte sie dazu noch jede Menge knisternden Sex-Appeal, mit dem sie das Publikum bei ihren beiden Auftritten auf dem Markt und im Park innerhalb kürzester Zeit in ihren Bann zog.

Durchhaltevermögen war gefordert, denn am Samstag ist traditionell die lange Nacht im Heinepark und dort stand um 1 Uhr morgens noch ein wirklicher Leckerbissen auf der Bühne: JIGGY aus Irland, einer der derzeit strahlendsten Sterne am Weltmusikhimmel. Ihr 2017er Debütalbum „Translate“ erreichte Platz eins der Weltmusikcharts in Irland, den USA, Kanada, Frankreich, Australien, Polen und dem Vereinigten Königreich und die Band wird seitdem weltweit auf Festivals gefeiert. Mit ihrer Mischung aus irischen Traditionals, indischer Percussion und innovativen Dance Grooves, die unweigerlich an das AFROCELT SOUND SYSTEM erinnern, brachte das Musikkollektiv die Menge vor der großen Parkbühne trotz der vorgerückten Stunden noch einmal gehörig in Wallung. Energetisch, spritzig und sofort ins Bein fahrend – es hätte so schön sein können, wenn man es denn allein bei der Musik belassen könnte…

Nun ist ja, auch wenn es so mancher nicht wahrhaben will, Rudolstadt immer schon ein politisches Festival, bei dem sich auch viele der Auftretenden entsprechend äußern und positionieren, sei es nun zu nationalen Themen oder zur großen Weltpolitik. Was mir in diesem Jahr jedoch leider unangenehm auffiel, war die bei vielen der internationalen Künstler*innen doch sehr einseitige Parteiergreifung im Gaza-Konflikt. Das begann beim ignorieren oder zumindest nicht erwähnen der israelischen Opfer des Hammas-Terrors oder der nach wie vor nicht heimgekehrten Geiseln, wie etwa bei der Ansprache des SHOVEL DANCE COLLECTIVs aus England am Nachmittag auf der Burg, und ging bis hin zu komplett schwachsinnigem Verschwörungsgeschwurbel wie etwa, dass die deutsche Regierung ihren Bürger*innen verböte, gegen Israel zu demonstrieren. Letztere Aussage kam eben von den gerade hoch gelobten JIGGY und hat mir die Freude an deren Auftritt dann leider doch etwas verleidet, obwohl ich mich wochenlang darauf gefreut hatte und es musikalisch und show-technisch wie schon erwähnt absolut großartig war. Schade. Aber leider ist die einseitig-unterkomplexe und leider manchmal auch mit Verschwörungsglauben behaftete Sichtweise auf das Thema ein fortschreitender Trend, der leider nicht nur diese Band, sondern die kreative Szene europaweit betrifft, und der mir zunehmend Sorgen bereitet. (Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen bildet derzeit etwa die Band U2.)

Nach dem kleinen politischen Rant nun wieder zu den schönen Dingen: Diese findet man beim Rudolstadt-Festival nicht nur auf den großen Bühnen, sondern oft auch abseits davon, und manchmal handelt es sich dabei nicht einmal um Musik. So zählten beispielsweise die Auftritte des Artistik-Duos CIA RAMPANTE für mich definitiv mit zum Besten, was in diesem Jahr gesehen habe. Mit Humor, guter Laune und unglaublicher Körperbeherrschung boten Florencia Carosía und Luciano Ranieri eine Mischung aus Schauspiel, Tanz und Akrobatik, die das Publikum auf dem Marktplatz ein ums andere Mal staunen ließ und zu Beifallsstürmen hinriss. [FH]

Die Kollaboration von LE VENT DU NORD und DE TEMPS ANTAN beim Rudolstadt-Festival 2018 wird vielen noch sehr positiv im Gedächtnis sein. In diesem Jahr traten LE DIABLE À CINQ sozusagen in deren Fußstapfen und animierten das Publikum mit ihrer Musik aus dem französischen Teil Kanadas erneut zum Mitmachen und ausgelassenen Tanzen.  Das wohl am meisten herausstechende Merkmal der traditionellen Musik Quebecs ist dabei die Podorhythmie, bei der Percussion oder Schlagzeug durch eine Art „sitzenden Steptanz“ ersetzt wird. Dazu dann noch eine Fiddle, Akkordeon und der aus der Bretagne importierte Wechselgesang und der Stimmung steht nichts mehr im Wege. Die aus drei Brüdern, einem Cousin und einem Freund bestehende Combo aus der dünn besiedelten Region Outaouais feierten in Rudolstadt ihr zehnjähriges Bühnenjubiläum, und das wirklich ausgiebig – mit gleich vier Auftritten auf drei verschiedenen Bühnen. Definitiv eines der Highlights 2025!

Den Sound einer Bassklarinette hört man im Folk auch nicht oft und wenn er sich zusammen mit dem einer Hardangerfiddle um eine akustische Gitarre legt, dann ergibt das den ganz eigenen Klang von MOJNA. Die Band wurde schon mehrfach ausgezeichnet. Mit der aktuellen CD „Väntenätter“ sicherte sich Gitarrist THOMAS ERIKSSON erst jüngst den Titel „Composer of the Year“ bei der Folk & World Music Gala 2025. Kammerfolk der zum andächtigen Zuhören einlud, und so saß und lag das Publikum entspannt auf der Wiese der Burgterrasse und hing seinen Gedanken nach. [TR]

Auch bei der Straßenmusik versteckte sich wieder so manches Schmankerl. Am Güntherbrunnen und in der Freiligrathstraße etwa konnte man am Samstag auf einen alten Bekannten treffen: Der Däne MARTIN SEEBERG war bereits mit SORTEN MULD (1997), VALRAVN (2009) und zuletzt als Gastmusiker bei FAUN (2023) zu Gast auf dem Festival. Mit seinem neuen Trio LAUMA spielt er zusammen mit Filine Ulrich an Viola und Vocals und Alex Peters an der Gitarre Eigenkompositionen, die sich aus Traditionen der skandinavischen und mitteleuropäischen Musik nähren – mal zum Tanzen, mal zu Träumen. Filine Ulrich konnte man im diesjährigen Programm zudem übrigens auch noch mit dem Experimental-Vocal-Quintett MARADIULI erleben. [FH]

Das Abschlusskonzert dieses Festival startete auf der Überholspur und büßte auch bis zum Ende nichts von seiner Energie ein. Das DUBIOZA KOLEKTIV ging voll auf „Spinal Tap“ und drehte alle Regler vermutlich sogar auf 12. Zu hören gab es eine musikalische Mischung aus Dub, Ska, Punk und Balkan-Folk, bei dem die Stücke ineinander überzugehen schienen, jedenfalls schaffte es die Menge an Energie und Bewegung auf und vor der Bühne, einen von solchen Kleinigkeiten abzulenken. Ich verstehe bis heute nicht wie man zugleich Saxophon spielen und wie ein Flummi über die Bühne hüpfen kann. [TR]

Viel zu schnell waren die dreieinhalb Tage wieder vorbei, doch auch wenn man sich wünschen möchte, es wäre jeden Tag Rudolstadt-Festival, muss die Menge und Dichte an Eindrücken, die man während dieser Zeit aufnimmt, ja auch erst einmal verarbeitet werden, da kann man lange von zehren. Vielleicht vermittelt die kleine (!) Auswahl in unserem Bericht ja einen Eindruck davon, wie vielfältig und reichhaltig das Festivalprogramm ist und warum die Tage in Rudolstadt für uns immer wieder zu den schönsten Wochenenden des Jahres zählen. [FH][TR]

Florian Hessler

Über Florian Hessler

Archäologe, Historiker und freier Journalist (u.a. Zillo Medieval, Sonic Seducer, Miroque, Metal-District, Piranha) floh.hessler(at)schubladenfrei.de
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