Dánjal – Struwwelpeter, Kronach (Konzertbericht)

Danjal

„We’re like schoolboys living closest to school and always come late“, entschuldigte sich Frontmann Dánjal á Neystabø, als er gemeinsam mit seinen beiden Mitmusikern am vorangeschritten Montagabend die Bühne im Jugend- und Kulturtreff Struwwelpeter betrat. Bereits seit drei Tagen waren Dánjal und sein Kollege, der Finne Kim Nyberg, vor Ort um neue Stücke zu komponieren, trotzdem hatte sich der Soundcheck eine ganze Weile verzögert. Eingelebt hatten sich die beiden aber schon: Nach der ganzen Zeit auf der kleinen Dachbodenbühne kam es ihnen geradezu vor, als ob sie die Besucher in ihrem Wohnzimmer willkommen heißen würden. Ein Eindruck, der auch dadurch verstärkt wurde, dass Kim barfuß und Dánjal lediglich mit Socken auf der niedrigen Bühne stand.

Bereits zum zweiten Mal waren die Artrocker, deren Frontmann von den Färöer Inseln stammt, in Kronach zu Besuch. Ihr Gastspiel stellte den letzten Beitrag zur diesjährigen Culturcafé-Reihe dar, bei der die Gastgeber ganz besonderen Wert auf die Qualität der eingeladenen Bands legen. Das wusste auch das Publikum zu schätzen, das die ganze Show über außergewöhnlich aufmerksam zuhörte. Viele von ihnen hatten DÁNJAL bereits im Vorjahr gesehen oder auch andere Konzerte der Veranstaltungsreihe besucht, und als die ersten vorsichtigen, beinahe scheu hintereinander gesetzten Tönen erklangen waren beinahe alle Stühle besetzt. Schon Momente später haute Dánjal voll in die Tasten, schien sich in der Musik zu verlieren. Die Musikmischung, die die Band an diesem Abend mit e-Piano, Klarinette, Mandoline und vor allem viel Leidenschaft auf die Bühne brachte, war außergewöhnlich. Verträumten Folkklänge wechselten sich mit flotten Jazzpassagen ab, auch Balkanmelodien zählten zu den Einflüssen der Truppe, die ungefähr seit 2008 gemeinsam musiziert. Gewürzt wurde das Ganze zusätzlich mit einer gehörigen Prise Klezmer. Was über weitere Strecken recht experimentell klang erreichte zwischendurch immer wieder vertraute Gefilde und nahm spätestens dann auch die Zuhörer wieder mit auf die weitere Reise, die zwischendurch den Anschluss verpasst hatten – doch von denen gab es an diesem Abend in Kronach ohnehin nur wenige.

Das Tempo steigerte sich rasant bis zu „Blow the Bubble“, dem Titelsong des aktuellen Albums, das von Thomas S. Eliots Gedicht „Death by Water“ inspiriert wurde. Dánjal fasste die Grundgeschichte der Scheibe zusammen und erzählte von einem Jungen, der sein ganzes Leben lang an einem Fluss entlang läuft und als er schließlich ans Meer kommt von der schieren Endlosigkeit überwältigt ist. Die Atmosphäre, die DÁNJAL in „The River“ kreierte war beeindruckend dicht. Überhaupt erzielte die Band schon mit kleinen Gesten große Wirkung. Während ihre Lieder streckenweise sehr minimalistisch gehalten waren tobten die Melodien an anderer Stelle ausgelassen umher. Zu den ruhigeren Liedern gehörte das noch nicht veröffentlichte „Beth“, das Dánjal nach dem Tod der Großmutter für seinen Großvater komponiert hatte. „Man verliert einen Teil von sich selbst, wenn man einen Menschen verliert, mit dem man so lange zusammen war“, meinte der Sänger und begann das Stück ganz ohne Begleitung der Instrumente. Es war weniger die Stimme selbst, als die Intensität, die der Sänger in seine Worte legte, die es zu etwas Besonderem machte.

Schon im nächsten Song wurde die bedrückende Stimmung wieder aufgelockert. „I actually played it wrong“, merkte Dánjal am Ende an und bezog sich damit gerade auf einer Stelle, auf die der Künstler eigentlich sehr stolz ist. Selbst schmunzelnd spielte er die Melodie dem amüsierten Publikum darauf hin noch einmal richtig vor. Häufig blitzte im Laufe des Abends der eigenwillige Humor der Band durch und ließ die Musiker erst recht durch und durch authentisch wirken. Klarinettistin Annika Jessen stieg vorne mit einem Bein auf die Monitorbox, Dánjal wippte den Takt mit dem Fuß mit – auch das Publikum stampft mit den Füßen – und richtete das Mikrofon zu den Zuschauern, die das sich wiederholende „Give me…“ solange mitsangen, bis der Frontmann den Song schließlich mit einem finalen „…a break!“ beendete.

Das erste Stück, dass die Zuhörer nach der Pause wieder in die Welt von DÁNJAL lockte, wurde von Kim geschrieben, der eher im Folkbereich zuhause ist. „Also schließt einfach eure Augen“, bat der Mann an der Mandoline, bevor er ein Haus im tiefsten Sommerwald in Finnland beschrieb und das staubige Fenster, durch das man nach draußen schaut, während Staubpartikel durch die Luft wirbeln. „Jetzt hast du zwei Möglichkeiten: Entweder kannst du wie verrückt anfangen staubzusaugen, oder du lehnst dich einfach zurück“. Das Lied entschied sich eindeutig für die zweite Alternative, überhaupt war der Abends über weite Strecken eher den ruhigen Tönen gewidmet. Das spielerische „With you“ lud wiederum zum träumen ein, die wabernde Soundstrukturen des Songs wurden mehrfach durch rhythmisch-tänzerische Passagen aufgebrochen – gerade für diese Stellen ernteten DÁNJAL lauten Applaus.

Im späteren Verlauf wurde der Auftritt mit seinen kabarettistischen Zügen schließlich ebenso flippig wie die abwechslungsreiche Show beim letztjährigen „Colours of Ostrava“, wo die Band in ihrer voller Besetzung mit sieben Musikern auftrat. In Kronach kam sie dagegen ganz ohne Rhythmusfraktion aus – wenn doch einmal mehr Takt gebraucht wurde sprang kurzerhand das Publikum ein: „Es wäre schön, wenn ihr einen Schlagzeuger nachmachen könntet!“. Fleißig geklatscht und auf den Boden gestampft wurde auch bei „The Enemy“, das stellvertretend für die sozialkritischen Lieder stand, die auf dem Debütalbum „The Palace“ zu hören sind. Kim gab den Takt vor, während Dánjal mal stehend und mal vor dem Klavier kniend weiter musizierte. Mitten im Stück erinnerte der Frontmann das Publikum an die Lieder, die die Band in den letzten Tagen geschrieben hatte. „Ich habe gemerkt, dass Kim gerade angefangen hat, eins davon zu spielen. Schauen wir mal, ob ich mich an den Text erinnern kann“, verkündete er und begann eine Weile von einem Mädchen namens Rosemary zu singen bevor sie mit einem schulterzuckenden „Irgendsowas!“ abbrachen und lieber die vorher gespielte Melodie wieder aufgriffen. Nach „The Big Wheel Keeper“ ging der lebhafte Abend in vertraulichem kleinen Rahmen mit einem letzten Zugabestück zu Ende, das noch einmal von allen mitgesungen wurde.

Janina Stein

Über Janina Stein

Kulturgeographin, Fotografin und freie Journalistin, zuletzt 1 ½ Jahre unterwegs in Neuseeland, Australien und Asien. janina.stein (at) schubladenfrei.de
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