Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist das IRISH FOLK FESTIVAL® inzwischen auf Europas Bühnen unterwegs. Fast alle derzeitigen Stars der irischen Folk-Szene haben im ein oder anderen Jahr bei der Tourneeveranstaltung gespielt, zu der Zeit manchmal noch mit dem Prädikat „vielversprechender Newcomer“. Auch in diesem Jahr war der reisende irische Musikzirkus wieder auf Achse und machte unter anderem Station in der Berliner Passionskirche. Wir waren dabei, und neben den großartigen Auftritten der Künstler blieb vor allem auch die Botschaft haften, die die Tour mit ihrer diesjährigen Überschrift vermitteln will.
Geleitet wird das Festival seit 2000 von Petr Pandula, der die Veranstaltung auch diesmal wieder gewohnt humorvoll wie eloquent live auf der Bühne präsentierte. Neben der reinen Moderation betonte er auch sehr nachdrücklich das Anliegen hinter dem Tourmotto: „Fair Play“. Gemeint ist damit das Ungleichgewicht, das – vor allem durch die großen Streaming-Anbieter – inzwischen im Musikbusiness entstanden ist und bei dem die eigentlichen Kreativen, die Musiker*innen, immer mehr die Gelackmeierten sind. Der Tonträgerverkauf ist durch das Digitalgeschäft in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Diejenigen, die alle Kosten, das ganze Risiko, Kreativität und Unmengen an Arbeit in Aufnahmen investiert haben, bekommen weniger als 10 % des Umsatzes. Diese Schieflage gilt es zu beseitigen, soll die Vielfalt unserer Kultur nicht zugunsten des Reichtums von Apple, Spotify und Co immer ärmer werden.
Der erste Musik-Act des Abends war ein gutes Beispiel für diese kulturelle Vielfalt. Die Mundharmonika kennt man im Zusammenhang mit Irland bislang eher aus der dort stark verwurzelten Country-Szene. Aber Jigs und Reels? TOM BYRNE zeigte, dass das wunderbar funktioniert, wenn man nicht nur eine eiserne Lunge, sondern auch das nötige Maß an Know How und Virtuosität mitbringt. Das Feuerwerk, das er dem kleinen Instrument zu entlocken vermag, brachte ihm nicht nur eine Auszeichnung als bester männlicher Interpret bei den „LiveIreland Music Awards“ ein, der US-Journalist Bill Mangerson adelte ihn in seiner Album-Rezension gar als „Paganini der Mundharmonika“. Wenn man die Begeisterungsstürme sah, die er auch beim Publikum in der Passionskirche entfachte, wirken solche Einordnungen nicht übertrieben.
Und mit Begeisterungsstürmen und Superlativen ging es nahtlos weiter: Tyler Schwarz ist Weltmeister, All Ireland, All British und US-Champion im Irish Step Dance, seine Partnerin Maddie Rae in den USA mehrfach preisgekrönte Tap-Dancerin. Unter dem Namen REEL RHYTHM erklärten die beiden nicht nur die Eigenarten und Unterschiede der beiden Tanzstile, sie zeigten auch überzeugend, dass sich beide wunderbar kombinieren lassen. Das Ergebnis war ein wahres Tanz-Feuerwerk, das nicht nur auf, sondern auch abseits der Bühne hervorragend funktioniert, denn wie Petr Pandula in seiner Anmoderation verriet, haben die beiden kurz vor der Tour geheiratet.
Verträumt wurde es dann mit EVA COYLE & FRIENDS. Die aus Athlone, Co. Westmeath, stammende und in Co. Cork lebende Singer-Songwriterin und Multiinstrumentalistin betörte das Berliner Publikum in kürzester Zeit mit ihrer einzigartigen Stimme. Im klassischen Irish Folk verbindet man mit weiblichem Gesang ja oft einen glockenklaren und oft ein wenig frostigen Sopran. Evas Stimme hat hingegen bei aller Frische auch ein wunderbar warmes Timbre, das sich angenehm in Gehörgänge und Herz schmeichelt, oder wie es der Veranstalter ausdrückt: „Eva und ihre Band haben einen Klang geschaffen, den man wie eine Wärmflasche an sich drücken und nicht mehr loslassen mag.“ Sean O’Dalaigh (Fiddle), John Shanager (Gitarre) und Stephen Shanley (Schlagzeug) lieferten an diesem Abend das Torten-Fundament, auf der Evas Stimme das Sahnehäubchen war. Wunderschön!
Headliner der diesjährigen Tour war das Quintett 3 ON THE BUND. Der Name des Quintetts resultiert aus seiner etwas kuriosen Bandgeschichte: An der Uni im irischen Limerick gibt es „Irish Folk“ tatsächlich als Studienfach. Was liegt also für das Kulturministerium in China näher, als für den inzwischen ja weltweit gefeierten St. Patrick’s Day dort anzufragen, ob man nicht ein paar der besten Student*innen vorbeischicken könnte, die für die chinesischen St. Patrick’s Feierlichkeiten das musikalische Programm beisteuern. So wurden also ein paar der hochbegabten Studiosi in den Flieger gesetzt, mit der Aufgabe, dort ein abendfüllendes Programm zu performen. Da sich die Musiker*innen regelmäßig auf der Bund-Promenade in Shanghai bei Hausnummer 3 zu Spaziergängen verabredeten, war der Bandname geboren. Susan Coleman (Vocals & Concertina) Seán Kelliher (Gitarre), Rebecca McCarthy Kent (Fiddle), Ella McGrory (Piano) und Simon Pfisterer (Uillean Pipes) harmonierten so gut, dass sie auch nach dem Ausflug nach Fernost beschlossen, als Band zusammen zu bleiben. Zum Glück für den Rest der Welt darf man sagen, denn vor allem bei den Instrumental-Sets sind 3 ON THE BUND live reines musikalisches Dynamit! Mit diesem Enthusiasmus und gleichzeitig diesem Druck habe ich das in dieser Qualität lange nicht mehr so erlebt und auch das Publikum in der Passionskirche wurde von dieser erfrischenden Brise regelrecht weggeweht und von den Stühlen gerissen. Chapeau!
Manch einer möchte vielleicht denken, dass nach so vielen Höhepunkten nicht mehr viel kommen kann, doch wer das IRISH FOLK FESTIVAL® kennt, weiß es besser. Was wäre irischer als eine gemeinsame Session der beteiligten Musiker*innen? Natürlich kommen traditionell alle am Ende noch einmal für ein paar gemeinsame Stücke auf die Bühne, so auch diesmal in der Passionskirche. Ein bisschen schade, dass TOM BYRNE dafür von der Mundharmonika zum Akkordeon wechselte, aber die finalen gemeinsamen Stücke – inklusive einer weiteren Tanz-Performance von Rae und Tyler – waren trotzdem der absolute Höhepunkt des Abends und brachten die Kirche endgültig zum kochen.
Fazit: Eine wirklich gelungene Ausgabe der jährlichen irischen Musik-Rundschau und wir freuen uns schon auf das IRISH FOLK FESTIVAL® 2026!