Daniel Kahn & The Painted Bird – E-Werk, Erlangen (Konzertbericht)

Daniel Kahn

Kein Platz für Schubladendenken: Bei DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD trifft Klezmer auf Folk, Punk und Singer-Songwritertum. Mit ihrer erfrischenden Mischung aus selbstgeschriebene Lieder, traditionellem Material und einfühlsamen, teil eigenwilligen Coverstücken im Gepäck waren sie im Erlanger E-Werk zu Gast, wo sie ihr im Dezember erschienenes Album „Bad old Songs“ vorstellten.

Ein paar Minuten nach neun kamen die vier Musiker auf die Bühne um sofort loszulegen. „Wir sind THE PAINTED BIRD und ich bin Daniel“, stellte der Sänger und Multiinstrumentalist sich und seine Mitmusiker vor dem zweiten Stück vor. „Wir sind aus Berlin und er ist aus New York“, erklärte er und deutete auf den Geiger. Da die Band in der Hauptstadt zu Hause ist, lag es nahe, auch über die dortigen Menschen zu singen. So handelte das zweite Lied von einem „Meydl from Berlin“ und stammte vom aktuellen Album, das den klaren Schwerpunkt des Abends bildete. „Ich habe euch gesagt, dass es etwas böse ist“, kommentierte der Sänger augenzwinkernd die unglückliche Liebe des Protagonisten zu der Berlinerin und dessen radikale Schlussfolgerung. Das nächste Lied spielte zwar immer noch in der Hauptstadt, war aber deutlich weniger bitter als vielmehr bittersüß. „Es ist einfach nur schön“, kündigte Daniel Kahn eins der absoluten Highlights der neuen CD an und griff zum Akkordeon. Der Walzer erinnerte an die „Good old, Bad old Days“, als die Welt noch vom Eisernen Vorhang geteilt wurde. Das Stück profitierte, wie der ganze Abend, vom sauberen Sound und dem hervorragenden Zusammenspiel zwischen den Musikern.

Anschließend war es Zeit für etwas älteres Material. „Avreml the Filcher“ vom 2011 erschienene Album „Lost Causes“ erzählte von einen „guten Taschendieb, der nur von den Reichen klaut“. Zum ersten Mal an diesem Abend nahm der Frontmann dafür am Klavier platz, bis er mitten im Stück aufstand und sich wieder sein Akkordeon schnappte. Der Song groovte, die meisten Zuschauer waren inzwischen näher an die Bühne herangerückt, wippten im Takt mit und ließen sich später auch durch schwungvolle, lange Instrumentalparts zum Tanzen bringen. Wie bei vielen der Liedern wechselten die Texte hier fließend zwischen zwischen Englisch und Jiddisch, auch bei den Ansagen wendete sich Daniel Kahn teils in Englisch und teils in Deutsch ans Publikum.

Etwas später blieb der Frontmann allein mit einer Mini-Drehorgel auf der Bühne zurück. Er hielt das Instrument nah ans Mikrofon, begann zu kurbeln, tauschte kurz darauf das Instrument aus und stimmte die nächste Melodie an. Sie schien im Publikum bekannt zu sein und nach Aufforderung sang ein Großteil der Zuschauer erst ein wenig zögernd, dann deutlich sicherer den deutschen Refrain von „Die Internationale“, einem ursprünglich französischen Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung. Als der Gesang verklungen war tauschte Daniel Kahn abermals die Drehorgel und kam zu dem Stück, das er eigentlich spielen wollte. „So, dieses alte Nazilied…“, begann er und berichtigte sich sofort: „Es ist eigentlich kein Nazilied, es ist vom ersten Weltkrieg. Aber dann haben die Alliierten das Lied befreit und in viele Sprachen übersetzt. Aber nicht in Jiddisch.“ Das haben nun THE PAINTED BIRD geändert und das „Lili Marleyn“-Sortiment um eine weitere Version bereichert. Im Gegensatz zum vorigen Versuch klappte das Mitsingen hier nicht und die Szene mit der ungewöhnlichen Gesangsbegleitung sorgte zwar für amüsierte Blicke, aber nicht für vollendete Begeisterung. Das merkte auch der Künstler. „Ich will etwas anderes für euch spielen“. So ging es zurück zu einem der „Bösen alten Liedern“, das die Band erst zum zweiten Mal im Liveprogramm hatte. „Ich habe das nur ein mal live gespielt auf Klavier… and it sucked!“, erklärte Daniel Kahn. Er wagte sich trotzdem an eine erneute Umsetzung, die auf Orgel und Gitarre verzichtete und das Klavier reichte auch vollkommen. Beim Spielen drehte sich der Musiker zum Publikum um, um auch hier nicht den Blickkontakt zu verlieren. Das Stück wusste zu gefallen und am Ende wirkte lediglich der Musiker nicht völlig damit zufrieden.

„Hey, could you guys rescue me?“, rief Daniel den Rest der Band zurück auf die Bühne. Gemeinsam präsentierten sie ein altes Stück von Franz Josef Degenhardt, nun wieder mit Gitarre und Mundharmonika. „Er stellt eine sehr deutsche Frage an die Deutschen, als Deutscher. Ich kann das nicht. Ich stelle die Frage auf Jiddisch und Englisch.“ Die Frage nach dem Verbleib der traditionellen deutschen Folkliedern hat sich wohl der ein oder ander auch selbst schon gestellt. Einige hatten es sich während der bedächtigen Klängen vor der Bühne auf dem Boden bequem gemacht, dazu passten anschließend die melancholische Töne des „Görlitzer Park“. Auch die alten Meister durften an diesem Abend nicht fehlen: Mit ausdrucksstarker Mimik und intensivem Tonfall trug Daniel Kahn die „Story of Isaac“ des Kanadiers Leonhard Cohen vor, bevor die Band noch einmal vorgestellt wurde. Anschließend wurde das Tempo bei „Men of Plenty“ wieder flotter und brachte sofort Bewegung ins Publikum. Nahtlos ging es danach mit „Yosl Ber“ vom Album „Partisans & Parasites“ weiter – auch hier nahm der Sänger im Refrain ein Megaphon zur Hand. Ein großartiger Abschluss für den Hauptteil des Abends!

Doch ganz zu Ende war das Konzert noch nicht und nach anhaltendem Applaus kehrte die Band auf die Bühne zurück. „There’s this other band we really like and we wanted to bring them to town but they couldn’t make it“, verkündeten sie und erklärten, dass sie zum Ersatz ein Lied von ihnen spielen wollten. „This is an old song about Wall Street. This song is very famous where I come from“. Im traditionellen jüdischen Folksong „Vander ich mir lustig“ berichteten sie daraufhin von einem Mann, der sein ganzes Geld an der Börse verliert und letztendlich ohne Geld, Mühle, Kuh und Frau darsteht – und sein Leben trotzdem oder gerade deswegen genießt. „This is the best song ever written!“, kündigten die Musiker ihr letztes Lied an, nahmen aber das vorige Lied aus, da es als Volkslied nicht wirklich geschrieben, sondern eben vom Volk geschaffen wurde. Das nächste sei hingegen von Dionysis Savvopoulos komponiert. „Kennt den jemand?“, erkundigte sich die Band, doch sagte der Name kaum jemanden etwas. „Das hab ich schon mal getrunken!“, kommentierte einer der Zuhörer den ungewohnten Namen. Also war eine Erklärung fällig. „Er ist der griechische Bob Dylan. Ich kann kein Griechisch, aber ich habe das Wort für Wort übersetzt.“ Herausgekommen ist dabei ein reichlich surrealer wirkender Text, der ganz gut zu der Erklärung des Liedtitels passte, der an dieser Stelle geliefert wurde: „Auf Griechisch heißt Olaria Olara auch… gar nichts.“ Dann war es am Publikum, aktiv zu werden und die bedeutsamen Worte mitzusingen – und obwohl sich die Anwesenden den Abend nicht allzu singfreudig gezeigt hatten, klappte es dieses Mal das gesamte Lied über. „Ihr seid ein Chor!“, verkündete Daniel, eine Spur Überraschung in der Stimme. Nach dem Song verließ die Band zum zweiten Mal die Bühne, doch der Jubel hielt so lange an, bis die Musiker tatsächlich noch ein allerletztes Lied spielten. Dabei sollte auch der Geiger einmal eine Stophe allein singen, was innerhalb der Band für Amüsement und allgemein für gute Laune sorgte.

DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD gestalteten einen vielseitigen Abend, der mal zum nachdenken und schmunzeln, dann zum zuhören und zum tanzen brachte. Die Lieder waren mal bitterböse, mal ironisch, mal ernst – aber immer unterhaltsam. Eine Mischung, die man nur wärmstens empfehlen kann.

Janina Stein

Über Janina Stein

Kulturgeographin, Fotografin und freie Journalistin, zuletzt 1 ½ Jahre unterwegs in Neuseeland, Australien und Asien. janina.stein (at) schubladenfrei.de
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