Arstiðir, Myrra Ros, Guðrið Hansdottir – E-Werk, Erlangen (Konzertbericht)

Gemessen an der geringen Einwohnerzahl hat Island einen überproportional hohen Anteil an Musikern. Zwar schaffen längst nicht alle davon den Sprung aufs Festland, doch einige finden auch zunehmend in Deutschland Fans und Zuhörer. Vergangene Woche war ein Abend im Erlanger E-Werk ganz den nordischen Klängen gewidmet und zog so viele Zuschauer an, dass das Konzert kurzerhand vom Club in den Saal verlegt wurde.

Ruhig und verträumt wurde der Abend von einer aus Reykjavík stammende Singer-Songwriterin eingeläutet. Allein mit ihrer Gitarre betrat MYRRA RÓS ÞRASTARDÓTTIR die Bühne, gekleidet in dezentes Schwarz und mit ebenso schwarzem, etwas extravaganten Haarschmuck ausgestattet. Mit ausnehmend klarer Stimme sang sie ihre Stücke teils in ihrer Muttersprache und teils in Englisch. Zunächst wirkte die Sängerin etwas zurückhaltend, sie wurde aber im Verlauf des Auftritts lockerer und war vom hiesigen Publikum durchaus angetan. Die Sympathie beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit, und so griffen die Zuschauer der Künstlerin bei der richtigen Aussprache von „Nachtwolf“ – der Übersetzung von „Kveldúlfur“, dem Titel ihres ersten Albums – spontan unter die Arme, als sie von den „schaurigen Kreaturen, die in den isländischen Wäldern leben“ erzählte. Natürlich sind ausgedehnte Waldflächen nicht unbedingt die erste Assoziation, die das Wort „Island“ heraufbeschwört. So räumte auch MYRRA RÓS gleich darauf ein, dass es auf der Insel überhaupt keine Wälder gäbe: „Man sagt, wenn du dich in den Wäldern von Island verläufst, steh einfach auf!“. Nicht nur Fabelwesen, sondern auch weit mehr in der Realität verwurzelte Themen spielen in den Stücken der Sängerin eine Rolle. Nach einer Kostprobe vom bislang in Deutschland unveröffentlichten „Insomniac“ bekam MYRRA RÓS Unterstützung von Jón Elísson, Karl James Pestka und Hallgrímur Jónas Jensson. Ein Privileg, wie die sympathische Künstlerin meinte, da „sie sie immer viel besser klingen lassen, als wenn sie allein ist“. Tatsächlich stellten die drei eine wirkliche Bereicherung darf. Gemeinsam beschlossen sie ihren Auftritt mit „Við og við“, dem erstes Lied von „Kveldúlfur“.

GUÐRIÐ HANSDOTTIR beehrte die Metropolregion in diesem Jahr bereits zum dritten Mal – erst im Januar zog sie in der Tafelhalle in Nürnberg das Publikum in ihren Bann. Ein Kunststück, dass ihr im deutlich weniger intimen Rahmen des Erlanger e-Werks ebenfalls gelang. Ohne sich mit einer Ansage aufzuhalten legte sie los, kaum dass sie sich vor dem Mikrophon postiert hatte. Schon ihre Stimme wirkte weniger zerbrechlich und etwas rauchiger als die ihrer Vorgängerin, auch das Auftreten war deutlich sicherer. Begleitet wurde sie abermals von dem Schwabacher Gitarristen Frieder Graf, ansonsten hatte sich im Set einiges geändert. Im Laufe des Abends spielte die Sängerin einige Lieder, die erst kommenden Januar auf ihrem neuen Album veröffentlicht werden. Darunter werden abermals Gedichte des deutschen Romantikers Heinrich Heine in englischer Übersetzung sein, während es musikalisch tendenziell rockiger wird. Dieser Trend macht sich auch in der Umsetzung der älteren Stücke bemerkbar, die teilweise schneller als die CD-Version gespielt wurden.

„Wo ich herkomme haben wir viel Nebel“, erklärte die Künstlerin vor „I Mjorka“, in dem eben dieser Nebel besungen wird. Es ist das zweite Stück von „Beyond the Grey“, einem ausgesprochen treffend betitelten Album, gehen die Stücke doch deutlich über tristes grau hinaus und verbreiten eine zwar melancholische, aber warme Atmosphäre. „Ich spiele dieses wunderbare Omnichord. Wir brauchen heutzutage keinen Schlagzeuger mehr“, bekundete die Sängerin und machte damit wahr, was im Januar noch eher wie ein Scherz klang. Die reduzierte Besetzung ließ weniger Raum für Interaktion, aber GUÐRIÐ HANSDOTTIR und ihr Gitarrist scherzten munter herum und unterhielten das Publikum mit Geplänkel über deutsches und färöer Bier. Wirkte sie hier noch ganz lässig änderte sich das vor dem nächsten Stück. „Ich bin jetzt wirklich aufgeregt“, gab die Künstlerin zu, bevor sie eines ihrer neuen Lieder zum allerersten Mal live vorstellte. Nach der rockigen Premiere stellte die Ballade „A Faroese Fisherman speaks of Drowning“ einen starken Kontrast zum vorhergehenden Song dar. „Ich habe nur Spaß gemacht, als ich gesagt habe, dass das ein färöer Liebeslied ist“, verriet Guðrið nach „Living with you is a lot like dying“. Auf das nächste Lied traf die Beschreibung dafür zu. Mit „Morgun I mars“ zeigte die Künstlerin den zauberhaften Folk-Pop aus der Nordatlantikregion von seiner schönsten Seite, bevor es zum Abschluss noch weitere Kostproben vom neuen Album gab.

Die Hauptband des Abends stammte ebenfalls von der Insel aus Feuer und Eis. Die Musik ÁRSTIÐIRs ist stark von den Traditionen ihrer Heimat geprägt und verknüpft den akustischen Folk mit zeitgenössischen Einflüssen. Die Vielseitigkeit der Musiker ist erstaunlich, sie alle spielen noch in weiteren Projekten, deren Bandbreite von klassischer Musik über Jazz und Folk bis hin zu Prog-Rock und Metal reicht. Gut gelaunt betrat das Sextett nach einer kurzen Pause die Bühne und die Musiker begannen, noch einmal ihre Instrumente zu stimmen. Lediglich Jón am Klavier hatte noch einen Moment Pause.

Arstidir

Sie singen gern, erzählen die Musiker, bei denen allein schon die Anzahl der Bandmitglieder für einen deutlich volleren Klang als bei den ersten Bands des Abends sorgte. Im Gesang lag auch die Stärke der Band, der die Freude am Musikmachen den ganzen Abend über anzumerken war. Mit ihrem teils sechsstimmigen Satzgesang deckten die Musiker eine große stimmliche Bandbreite ab, die einzelnen Stimmen waren dabei beeindruckend genau aufeinander abgestimmt. ÁRSTIÐIR ist ohnehin keine Band, die viel dem Zufall überlässt: die sechs Isländer sind Perfektionisten, die ihre Musik mit viel Liebe zum Detail arrangieren und konsequent umsetzen. Ihrer Gesangsleidenschaft folgend haben sie es sich natürlich nicht nehmen lassen, auch ein eigenes a capella-Stück zu schreiben. Bei dem einen Stück ohne Begleitung blieb es aber nicht, mehrmals ließen die Musiker ihre Instrumente stehen und liegen und gruppierten sich am vorderen Bühnenrand um die Mikrofone. Eines der unbegleiteten Lieder war ein traditionelles isländisch Stück, dessen Text schon im Jahr 1208 geschrieben wurde. Es erzählte von einem Mann, der an seinen Kampfwunden stirbt und nun zu Gott fleht: „He wasn’t even killed by a sword, he just got a stone in the head“, merkte Jón an. Die Melancholie ist in der Musik des Sextetts allgegenwärtig, wird aber bewusst dosiert und nimmt nie Überhand.

Eines der ersten Lieder das die Band je zusammen gespielt hat war „Ages“, eines der wenigen englischsprachigen Lieder, die es an diesem Abend auf die Setlist schafften. Bis heute hat es nichts von seinem Zauber verloren. Während hier der Schwerpunkt vornehmlich auf den Gitarren, die beiden Akustikgitarren gespielt von Daniel und Gunnar Már Jakobsson und die Bassgitarre von Ragnar Ólafsson, lag, kamen in Stücken wie „Ljod i sand“ die Streicher besonders gut zur Geltung. Doch nicht nur alte Stücke wurden gespielt, sondern der Abend wurde zum echten Premierenabend: Wie schon bei GUÐRIÐ HANSDOTTIR gab es auch bei ÁRSTIÐIR erst kürzlich geschriebenes Material zu hören. Ein Stück war sogar so neu, dass es nicht einmal einen Namen hatte, und auf den ersten Konzerten der Tour noch nicht gespielt worden war. Die Isländer beschlossen ihr Set mit „Shades“ und „Tarin“, die in der Liveversion nahtlos ineinander übergingen. „Did that mean you want more?“, erkundigte sich die Band nach dem begeisterten Applaus, bevor sie das im Original von Billy Joel stammende „And so it goes“ anstimmten. Währen sie sich in Strophen mit dem Gesang abwechselten wurde der Refrain gemeinsam gesungen. Anschließend stiegen die sechs von der Bühne und stellten sich direkt vor das Publikum. So gaben die Musiker zum Abschluss noch einen alten isländischen a-Capella-Partysong zum Besten und zeigten dabei, dass sie ohne Mikrofone, ohne Instrumente und für ein Stück sogar gänzlich ohne Melancholie auskommen können.

Fazit: ÁRSTIÐIR ist eine besondere Band, die auf großen Festivalbühnen wie beim TFF in Rudolstadt ebenso überzeugt, wie im verhältnismäßig kleinem, familiären Rahmen. Ein wunderbarer Abend zum Zuhören, Träumen und Genießen.

Janina Stein

Über Janina Stein

Kulturgeographin, Fotografin und freie Journalistin, zuletzt 1 ½ Jahre unterwegs in Neuseeland, Australien und Asien. janina.stein (at) schubladenfrei.de
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