RHIANNON GIDDENS – Berlin, Columbia Theater

Rhiannon Giddens 22-01-16 Columbia Theater -5RHIANNON GIDDENS gilt seit einiger Zeit als die neue Stimme der amerikanischen Folkmusik. Sie startete ihre musikalische Karriere zunächst als als Sängerin der viel gelobten und Grammy-preisgekrönten CAROLINA CHOCOLATE DROPS, seit einiger Zeit ist sie aber auch zunehmend solo unterwegs. Viele kennen sie durch ihren Beitrag zum Soundtrack des Coen-Brothers-Films „Inside Llewyn Davis“. Im Frühjahr 2015 erschien ihr Debütalbum „Tomorrow is my turn“, das von Fans und Kritikern gleichermaßen gefeiert wurde. Bereits im letzten Jahr begeisterte die studierte Opernsängerin beim Rudolstadt Festival (formerly known as TFF) damit auch das deutsche Publikum. Auf ihrer derzeitigen Europatournee standen leider nur zwei Termine hierzulande auf dem Programm.

Rhiannon Giddens 22-01-16 Columbia Theater -6Eine der Stationen war in der letzten Woche das Berliner Columbia Theater. Hier gab es die erste Überraschung bereits bei der Ankunft: Der Saal war komplett eingestuhlt. Seltsam eigentlich, denn das musikalische Repertoire von RHIANNON GIDDENS umfasst zwar auch Balladen und Songs zum Zuhören, viele ihrer Stücke sind jedoch auch hochgradig mitreißend und durchaus tanzbar. Irgendwie seltsam auch – vielleicht lag hier der Grund für die Bestuhlung –, dass man als Enddreißiger tatsächlich das Gefühlhatte, durch seine Anwesenheit den Altersdurchschnitt zu senken. Um so mehr, wenn man bedenkt, dass auch die Künstlerin selbst die 4o noch nicht überschritten hat. Nun gut, so beschränkten sich die Begeisterungsbezeugungen der Anwesenden eben auf ein leichtes Mitwippen während und frenetischen Applaus nachRhiannon Giddens 22-01-16 Columbia Theater -10 den einzelnen Songs. Einige hielt es jedoch im Verlauf des Konzerts dann doch nicht mehr auf ihren Sitzen und sie lebten ihren Bewegungsdrang an der Seite oder im Hintergrund der Halle aus. Bei so manchem mag das Vorziehen des Stehplatzes allerdings auch an der Unbequemlichkeit der bereitgestellten Sitzmöbel gelegen haben.

Doch kommen wir zum Wesentlichen: zur Musik. Die war, wie nicht anders zu erwarten, schlicht großartig. Bereits mit dem Opener, dem von ihr im Rahmen des „New Basement Tapes“ – Projekts so grandios vertonten BOB DYLAN Songs „Spanish Mary“, dürfte auch dem letzten Anwesenden sofort klar gewesen sein, warum die Dame derzeit in amerikanischen Folkkreisen so hoch gehandelt wird. Auch das zweite StüRhiannon Giddens 22-01-16 Columbia Theater -13ck, „Don’t let it trouble your mind“, stammte, wie übrigens auch die meisten Songs ihres Debütalbums, nicht aus ihrer eigenen Feder. Sie selbst sieht sich auch eher als Sängerin denn als Songwriterin, wie sie in einem Interview vor nicht all zu langer Zeit erklärte. Mal abgesehen davon, dass das in meinen Augen beziehungsweise Ohren nicht so ganz der Wahrheit entspricht, täte es der Sache aber auch keinen Abbruch, denn wie im Fall des DOLLY PARTON Klassikers schafft es RHIANNON GIDDENS vor allem live spielend, das Original vergessen zu lassen. Egal ob Song eines anderen Künstlers oder anonymes Traditional, es handelt sich bei Ihr nie um ein reines Cover, sondern immer um eine wirkliche Interpretation oder Neubearbeitung, mit der sie dem Stück ihren ganz eigenen Stempel aufdrückt. Besonders eindrücklich bewies sie das mit ihrer sehr nachdenklich machenden Neuauflage des Folk-Klassikers „Factory Girl“, mit dem sie an den Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesch erinnerte, bei dem im April 2013 über 1000 Textilarbeiterinnen ums Leben gekommen waren.

Rhiannon Giddens 22-01-16 Columbia Theater -1Und wenn sie nicht mit ihrer Stimme Gänsehaut verursachte, tat sie es instrumental an Banjo oder Fiddle, egal ob die Tunes aus dem keltisch-irisch geprägten Kanada oder dem kreolischen Süden der USA stammten. Aufs beste unterstützt wurde sie dabei von einer grandiosen Band, die wie schon bei der letzten Tour unter anderem auch aus ihren CCD-Bandkollegen bestand. Zusammen war das Song für Song einfach nur großes Kino!

Der Abend endete wie er begann: mit einem Song aus dem „New Basement Tapes“ – Projekt. „Duncan & Jimmy“ riss das Publikum dann noch einmal richtig von den Stühlen, bevor sich Rhiannon endgültig verabschiedete. Allerdings nur von der Bühne, denn nach dem Konzert unterhielt sie sich die sympathische und völlig unprätentiöse Sängerin am CD-Stand noch geraume Zeit mit den Fans. Dabei verriet sie auch, dass sie ein neues Album in Planung hat, das aber erst 2017 erscheinen wird. „Momentan bin ich noch dabei, die Songs auszuwählen“, erklärte sie. Die Aufnahmen sind für die zweite Hälfte dieses Jahres geplant. Es steht zu hoffen, dass RHIANNON GIDDENS dann spätestens mit dem neuen Material im Gepäck auch wieder live in Deutschland unterwegs sein wird.

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Florian Hessler

Über Florian Hessler

Archäologe, Historiker und freier Journalist (u.a. Zillo Medieval, Sonic Seducer, Miroque, Metal-District, Piranha) floh.hessler(at)schubladenfrei.de
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